Sie kam aus dem politischen Nirgendwo und verlieh dem republikanischen Präsidentschaftskandidaten John McCain neuen Glanz. Sie begeisterte die politische Rechte, die McCain bislang nur so schwer von sich überzeugen konnte. Sarah Palins Nominierung als Kandidatin für das Amt der Vizepräsidentin schien für McCain und seine Republikaner ein Glücksgriff. Sie schien das Potenzial zu haben, den Wahlkampf fundamental durcheinanderzuwirbeln. Palin hatte den Reiz des Neuen.
Vorbei. Der neue Superstar der Konservativen ist unsanft auf dem Boden gelandet. Denn die Gouverneurin von Alaska ist politisch und privat nicht so unbefleckt wie republikanische Wahlkampfstrategen sie noch am Wochenende präsentierten. Am Montag wurde bekannt, dass die 17-jährige Tochter Palins schwanger ist. Dann kam auch noch ans Tageslicht, dass Palin möglicherweise ihr Amt als Gouverneurin missbraucht hat, als sie den Beauftragten für die öffentliche Sicherheit entlassen hat. Zuletzt meldeten die US-Medien noch, dass Sarah Palins Gatte in der Vergangenheit wegen Trunkenheit am Steuer verurteilt worden war. Ooops.
Palin nur kurz überprüft
Die pikanten Enthüllungen lassen Zweifel aufkommen, ob John McCain bei der Wahl seiner Stellvertreterin sorgfältig genug vorgegangen ist. McCains demokratischer Konkurrent Barack Obama etwa hat seine Kandidaten für den Vizeposten wochenlang überprüfen lassen. Eine Schar von politischen Beratern und Anwälten durchwühlte persönliche Dokumente, Steuererklärungen und Polizeiakten, analysierte die politische Bilanz und befragte Personen aus dem Umfeld. Nichts blieb ungeprüft auf der Suche nach einer politischen Leiche im Keller des Vizekandidaten.
Auch McCain hat seinen Kandidatenkreis eigentlich durchleuchten lassen. Mitt Romney, etwa, den Ex-Gouverneur von Massachusetts, und auch Tim Pawlenty, Gouverneur von Minnesota. Beide zählten bis zuletzt zum Favoritenkreis für den Vizeposten. Aber McCain zauberte, völlig überraschend, am vergangenen Freitag, Sarah Palin hervor. Wie die "New York Times" am Dienstag berichtete, gibt es Hinweise, dass Sarah Palins persönlicher Hintergrund zuvor nur in aller Eile überprüft wurde. McCain habe sie erst vier oder fünf Tage vor seiner Ankündigung ernsthaft in Betracht gezogen und dann erst am letzten Tag überprüfen lassen, heißt es nach Angaben der Zeitung aus Kreisen seiner republikanischen Partei.
Bis zuletzt habe McCain mit dem Gedanken gespielt, seinen Freund, den Senator Joe Liebermann, oder Tom Ridge, den ehemaligen Gouverneur von Pennsylvania, als Kandidaten vorzuschlagen. Doch beide gelten als Befürworter der Abtreibung. Als prominente Vertreter der politischen Rechten begannen, sich auf die beiden möglichen Kandidaten einzuschießen, sei McCain eingeknickt und habe sich für Palin entschieden, berichtet die "New York Times". Ganz spontan.
McCains Ruf steht auf dem Spiel
Diese Spontaneität scheint sich nun zu rächen, der zuvor bejubelte Coup wird in den US-Medien zu einer überhasteten Entscheidung umgedeutet. Für McCain ist das brandgefährlich. Auf dem Spiel steht sein Ruf als erfahrener Senator, der anders als sein Rivale Barack Obama das nötige Urteilsvermögen hat, die Nation auch in stürmischen Zeiten zu führen. Nun wirkt McCain wie jemand, der eine Frau ins zweithöchste Amt des Staates befördern will, die er selbst kaum kennt - und die möglicherweise bereits mehr politische Fehler begangen hat, als es McCain lieb sein kann.
Die Schwangerschaft von Sarah Palins minderjähriger Tochter ist vor dem Hintergrund der Wertediskussion in den USA politisch hoch delikat. Denn die Gouverneurin von Alaska tritt öffentlich für sexuelle Enthaltung von Teenagern ein und ist strikt gegen Abtreibungen. Gleichzeitig lehnt sie die staatliche Förderung von Sexualerziehungsprogrammen ab. Schon wird diskutiert, ob Palin angesichts ihrer Familienverhältnisse noch glaubwürdig sei. Aber es gibt auch andere Stimmen. Die Internetseite "Politico" etwa sieht die Enthüllung als Chance für Palin. Viele Wähler, argumentiert die Redaktion, könnten sich mit Palins familiären Problemen identifizieren. Sie könnten als Beweis dienen, dass Palin eine ganz normale Amerikanerin ist, eine bodenständige Politikerin, mit starken moralischen Vorstellungen, die sich aber bisweilen auch mit den Härten des echten Lebens konfrontiert sieht.
Konservative schützen Palin
Die republikanische Basis jedenfalls scheint bislang trotz des Aufruhrs um Palin ruhig zu bleiben. McCains Berater beteuerten, dieser habe schon zuvor von der Schwangerschaft von Palins Tochter gewusst. Und sogar die politische Rechte springt McCain und Palin bei. "Die Medien versuchen die Geschichte so zu drehen, dass Gouverneur Palin eine Heuchlerin ist", sagte James Dobson, der Gründer der konservativen Organisation "Focus on the Family", der "New York Times". "Aber es bedeutet doch nur, dass sie und ihre Familie auch nur Menschen sind." Auch andere Vertreter des konservativen Flügels der Republikaner stellten sich schützend vor Palin.
Doch so schnell dürfte diese Episode nicht zu Ende sein. Wie die Nachricht letztlich an Küchentischen und in Kirchen bewertet wird, ist offen. Und Palin muss sich weitere Fragen gefallen lassen. Der TV-Journalist George Stephanopoulos brachte die Situation auf den Punkt: "Die große Frage ist, was gibt es noch, was wir nicht über Gouverneurin Palin wissen?" Laut Medienberichten hat McCain bereits mehrere Mitarbeiter und Anwälte nach Alaska geschickt, um weitere Information über seine designierte Stellvertreterin zu sammeln.