Flüchtlingspolitik Propaganda in Ruanda: Kann dieses Land ein sauberer Migrationspartner sein?

Das kleine Ruanda mitten in Afrika will Europa Flüchtlinge abnehmen. Doch wer dort hinreist, trifft auf einen Überwachungsstaat – und auf eine Frau, die um ihr Leben fürchtet.
Ruanda: Aufnahme der Hauptstadt Kigali
1000 Hügel, wenig Platz: Ruanda mit der Hauptstadt Kigali ist eines der am dichtest besiedelten Länder der Welt
© Hugh Kinsella Cunningham

Direktor Ismael Bakina hat sein Gastgeberlächeln aufgesetzt, das karierte Hemd zurechtgezupft und die Besucher zu seinem Lieblingsort im Hotel geführt. Stolz steht er auf einem Balkon im obersten, dem vierten Stock des Gebäudes. Vor ihm windet sich die ruandische Hauptstadt Kigali um bewaldete Hügel. Bakina lässt den Zeigefinger schweifen. "Wir haben hier eine tolle Lage", schwärmt er. "Mitten in der Stadt. Mitten im Grünen." Unten, im Hof des Hope Hostel, stutzen Gärtner gerade eine Hecke, Putzkräfte moppen einen Basketballplatz. Der Hotelmanager sagt: "Wir richten uns danach, was die Gäste wollen."

Doch was, wenn die Gäste eigentlich überhaupt nicht herkommen wollen? Was, wenn man ihnen – wie am 14. Juni 2022 auf einem Militärflugplatz bei London – vor dem Besteigen des Flugzeugs Handfesseln anlegt und die Handys abnimmt? Was, wenn einer der Gäste in Ohnmacht fällt, auch das geschah damals, aus Angst davor, in Bakinas Hotel geschickt zu werden?

Das Lächeln des Managers gefriert. "Wir werden dieser Herausforderung trotzen."

"Diese Herausforderung" ist der derzeit wohl umstrittenste Deal der Migrationspolitik Europas. Um den Flüchtlingsstrom über den Ärmelkanal zu stoppen, will Großbritannien Asylbewerber nach Ruanda schicken. Und mit ihnen 290 Millionen Pfund zum Dank, weitere Tranchen sollen folgen. Hilfsorganisationen versetzt der Plan in Empörung, Flüchtlinge in Angst und die britische Regierung in eine juristische Bredouille.

Am Ende hob das Flugzeug an jenem Junimorgen vor zwei Jahren nicht ab. In letzter Minute hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Abschiebung verhindert. Auch das Oberste Gericht Großbritanniens bekundete Zweifel, ob Ruanda wirklich eine sichere Heimat für geflüchtete Afghanen oder Iranerinnen sei. Premier Rishi Sunak ließ das Land daraufhin kurzerhand zum sicheren Drittstaat erklären.

Ruanda: Britischer Premierminister Rishi Sunak
Der britische Premier Rishi Sunak will von Juli an Flüchtlinge nach Ruanda abschieben
© LAIF / CAMERA PRESS / ROTA

Ob Großbritannien jemals Menschen nach Zentralafrika schicken wird, bleibt ungewiss. Im Juli sollen die ersten Flüge starten. Zuvor jedoch stehen Neuwahlen an. Die Labour-Partei liegt in Umfragen vorn, und sie hat sich gegen das Abkommen ausgesprochen. Zugleich aber lässt die Ampelkoalition in Berlin prüfen, ob Asylverfahren in Drittstaaten ausgelagert werden können. Deutsche Politiker reisen nach Kigali. Das Ruanda-Modell macht Schule, bevor es überhaupt zu arbeiten begonnen hat.

Erschienen in stern 24/2024