Da haben wir Bagdad hinter uns gelassen, sind nach einem halben Jahr in der "gefährlichsten Stadt der Welt", so die Presseagentur ap, mit Auto und Equipment nach Norden aufgebrochen, um über den kurdischen Nordirak in die Türkei und weiter nach Deutschland zu fahren. Wir haben die sicherste Route ausgekundschaftet, zwei irakische Freunde und noch ein Begleitfahrzeug mitgenommen - und aufgeatmet, als wir nach sechs Stunden in Suleimaniye ankamen, Hauptstadt der Ost-Hälfte Kurdistans, das schon 1991 Saddams Herrschaft entkam und als friedliche Oase gilt, verglichen mit dem Rest des Irak. Dachten auch wir, als wir vor dem abgesperrten Hotel "Suleimaniye Palace" hielten, das Auto in einer Gasse gegenüber zwischen anderen parkenden Wagen abstellten und uns beim Pressebüro der hier herrschenden PUK meldeten.
Vor einem Jahr, während des Krieges, hatte der kluge Gefängnisdirektor Wuasta Hassan mir und anderen Journalisten erlaubt, inhaftierte Mitglieder von Ansar al-Islam zu interviewen, einer Terrorgruppe mit engen al-Qaida-Kontakten. Genau das wollte ich wieder tun, und über unseren kurdischen Übersetzer Asad bekamen wir nach langen Telefonaten mit offizieller Billigung einen Termin beim Gefängnisdirektor. Bester Dinge gingen wir zurück zum Auto. Das heißt dorthin, wo es vier Stunden zuvor noch gestanden hatte.
"Polizei! Polizei!", riefen zwei Männer auf Kurdisch: Die örtlichen Sicherheitskräfte hätten das Auto abgeschleppt, weil es ein ausländisches Kennzeichen habe, viel Gepäck darin lag und sie Sprengstoff vermuteten. Auf die Idee, die 40 Meter zum Hotel zu gehen und dort nachzufragen, waren sie nicht gekommen.
Aufgerissene Taschen, zerfledderte Papiere
Sehr eilig und ziemlich nervös fuhren wir mit dem Taxi zum Polizeihauptquartier, das aussieht wie eine Kaserne und wo gerade eine Hundertschaft Uniformierter das Marschieren übte. Das Auto war da. Das heißt, zuerst sah ich unser Gepäck: verstreut über einen größeren Raum, aufgerissene Taschen, zerfledderte Papiere, in denen acht Männer wühlten. Ein paar Meter weiter stand das Auto, rabiat, aber fachmännisch aufgehebelt. Ich brülle selten, aber in diesem Moment tat ich es: "Mit welchem Recht brechen Sie mein Auto auf? Was fällt Ihnen ein, unsere Sachen herauszuzerren?"
Sie erklärten, es hätte ja ein mit Sprengstoff voll beladenes Auto sein können, und wir könnten ja Terroristen sein. Auf die Gegenfrage, wieso sie ein Auto voller Sprengstoff ausgerechnet in den Innenhof des Polizeihauptquartiers schleppen, schauten sie mit offenen Mündern und wussten so recht keine Antwort. Ebenso wenig auf die Frage, wo denn der Inhalt einer kleinen blauen Pappschachtel geblieben sei, in der eine Silberdose und zwei Ringe gewesen waren. Acht Augenpaare schauten himmelwärts, man schaute unter dem Schreibtisch nach, in den geöffneten Koffern - bis nach mehreren Minuten einer der Männer in seine Jackentasche griff, wo er, welch Zufall, die Dose wiederfand und lächelnd zurückgab.
Das Ganze dauerte nun schon eine Weile, und ich erklärte ihnen, dass ich einen Termin hätte, nebenan, mit dem Gefängnisdirektor. Und nun langsam los wolle, mit Auto und Gepäck. Das gehe aber gar nicht, erwiderte ein eingetroffener Offizier und nahm uns erst einmal Reisepässe, Fahrzeugpapiere und Autoschlüssel ab. Wir müssten warten - worauf, sagte er nicht. Bis ich in ein geräumiges Büro geführt wurde, hinter dessen Schreibtisch ein Mann nach einer Weile hochschaute und mich anranzte: "Wieso sind Sie illegal in den Irak eingereist?"
Mehr verdutzt als verärgert ranzte ich zurück, dass es doch erst einmal darum gehe, warum seine Männer unser Auto abgeschleppt, aufgebrochen, das Gepäck herausgezerrt und begonnen hätten, die Wertsachen unter sich aufzuteilen. Sehr rot im Gesicht herrschte er mich an: "Sie sind aus Jordanien eingereist! Warum haben Sie keinen irakischen Einreisestempel?!"
Meine Freundin schaute ziemlich entsetzt
Ganz ruhig erklärte ich ihm, dass er diese Frage den irakischen Grenzbeamten stellen müsse, zumal auch ein Jahr nach dem Fall von Saddams Regime chaotische Zustände an den Grenzen herrschen und mein Pass mal gestempelt, mal nicht gestempelt worden ist. Aber zum Ende des Satzes kam ich nicht mehr. "Werft ihn ins Gefängnis", brüllte der Mann, "ins Gefängnis! Ins Gefängnis!", wiederholte er und hämmerte auf seine Schreibtischplatte, "this shit, shit, shit!" In diesem Moment wurde meine Freundin Susanne hereingeführt und schaute ziemlich entsetzt, während zwei Untergebene mich in den Zellentrakt schleiften, aber nach ein paar Metern davon zu überzeugen waren, dass ich auch selber gehen könne. Ich hatte, ohne es zu wissen, Ostkurdistans oberstem Polizeigeneral Dana Ahmed Majid nicht die angemessene Untertänigkeit erwiesen.
Und so landete ich im Gefängnis, fast pünktlich zum ursprünglich vereinbarten Termin, nur im falschen Trakt, im falschen Film. Verunsichert schaute der Beamte in der Aufnahmezelle und bot mir eine freie Pritsche an. Ich nahm lieber den Klappstuhl. Auf Kurdisch, auf Arabisch diskutierten erst zwei, dann vier Beamte. Irgendwie war es allein peinlich, aber was tun gegen den Befehl des Generals? Und der war mehr als deutlich gewesen. Eine halbe Stunde saß ich in der Zelle, und ein älterer Wächter fragte freundlich, ob alles okay sei. Das könne man so nicht sagen, erklärte ich den Stand der Dinge. Und schilderte ihn noch mal einem ebenfalls sehr höflichen Offizier, der mich, gangauf, gangab, in sein Büro mitnahm. Und einem weiteren Offizier übergab, der noch einmal genau wissen wollte, was vorgefallen sei. Bis er mich schließlich ins Zimmer des Generals zurückbrachte, wo ein lächelnder Dana Ahmed Majid Tee servieren ließ, wo Susanne mit geröteten Augen und wo auch unser Übersetzer saß, den wir noch am Anfang der Odyssee angerufen hatten zu kommen.
"Ich kann Sie jetzt 14 Monate lang einsperren!"
Er hatte dem General erklärt, dass Terroristen sich wohl nicht als erstes beim Pressebüro melden würden. Und Susanne hatte genau das Richtige getan: Sie war in Tränen ausgebrochen, was einen kurdischen Polizeigeneral dann doch verunsichert. Seine Versuche, uns der illegalen Einreise zu bezichtigen, waren zwar halbwegs versandet angesichts der Tatsache, dass nicht einmal die Kurden uns einen Einreisestempel gegeben hatten, als wir ein halbes Jahr zuvor eingereist waren. Aber zum Abschied wies er noch mal darauf hin: "Ich kann Sie jetzt 14 Monate lang einsperren! Sie sind illegal eingereist!" Zum Auto mochte er nicht viel sagen, bot am Ende nur mit zuckersüßem Lächeln an: "Sie können hier jeden interviewen, jeden sprechen wollen" - um im Telefonat auf Kurdisch anschließend dem ihm unterstellten Gefängnisdirektor zu befehlen, dass weder er noch seine Gefangenen für mich zu sprechen seien. Asad, der Übersetzer, bedauerte beim Herausgehen, dass er es nicht vermocht habe, mich zu den Interviews ins Gefängnis zu bringen, und wir dankten ihm herzlich, dass er es geschafft hatte, uns stattdessen aus dem Gefängnis wieder herauszubringen. So etwas ist uns in Bagdad in einem halben Jahr nicht passiert.