Saudi-Arabien "Fürchtet Gott und beendet das Blutvergießen"

Die saudische Königsfamilie hat nach dem Selbstmordanschlag vom 9. November mit 18 Toten erkannt, dass sie den religiösen Fanatismus selbsternannter Gotteskrieger nicht mit Repressionen bekämpfen kann. Helfen soll ausgerechnet die Geistlichkeit.

Noch spricht es niemand in Saudi-Arabien öffentlich aus. Doch die Herrscherfamilie des islamischen Königreichs hat nach dem Selbstmordanschlag vom 9. November mit 18 Toten erkannt, dass sie den religiösen Fanatismus selbsternannter Gotteskrieger nicht mit Verhaftungen und Geheimdienstinformationen allein bekämpfen kann. Helfen soll nun ausgerechnet die Geistlichkeit. Dabei haben gerade die radikalen Scheichs und Imame das Terrorismusproblem mit dem von ihnen gepredigten Hass auf alle, die aus ihrer Sicht von der "reinen Lehre" des Islam abweichen, überhaupt erst geschaffen.

Männer mit langen Bärten

Inzwischen treten im saudiarabischen Fernsehen täglich fromme Männer mit langen Bärten auf, die der Jugend erklären sollen, dass es im Islam eine Sünde ist, seine Intoleranz gegenüber Andersgläubigen und liberalen Muslimen mit Sprengstoffanschlägen auszuleben. Am Samstagabend forderte der wegen seiner Aufrufe zum "Heiligen Krieg" im vergangenen Mai inhaftierte Scheich Nasser el Fahd seine jungen Anhänger auf: "Fürchtet Gott und beendet das Blutvergießen". Unter der Überschrift "So habe ich es doch nicht gemeint" lässt sich auch der Fernsehauftritt von Scheich Ali el Chodeir zusammenfassen, der einst bekannt geworden war, weil er mit "Fatwas" (islamische Rechtsgutachten) "Ungläubige" quasi zum Abschuss freigegeben hatte.

Dass der "Dschihad" (Heilige Krieg) auch im 21. Jahrhundert noch mit der Waffe in der Hand ausgetragen werden muss, daran zweifelt in Saudi-Arabien kaum jemand. Und es ist sehr schwer, einen Saudi zu finden, der nicht der Meinung ist, dass die wahabitische Schule des Islam, die im Königreich Staatsreligion ist, der einzig "wahre Islam" sei, den es durch Missionierung zu verbreiten gelte.

"Islam - der Weg zum Glück"

So ist es etwa für Hoda El Dscheraisi, Tochter des Präsidenten der Handelskammer von Riad, selbstverständlich, nicht-muslimischen Besucherinnen ihres Computer-Ausbildungszentrums für Frauen zum Abschied Schriften mit Titeln wie "Islam - Der Weg zum Glück" oder "Wie werde ich ein Muslim" zu überreichen. Für den Generalsekretär der einflussreichen Weltversammlung der Muslimischen Jugend (WAMY), Saleh el Woheibi, ist die Verbreitung des wahabitischen Islam, der Musik als verwerflich ablehnt und jeden Kontakt zwischen Männern und Frauen verbietet, nicht nur Berufung, sondern auch Beruf.

Für den Generalsekretär und seine Mitstreiter in der WAMY- Zentrale, die in einem kastenförmigen Gebäude im Zentrum der saudiarabischen Hauptstadt Riad hat, sind Männer, die in Kabul und Bagdad amerikanische Soldaten töten, Gotteskrieger. "Diese Idee der Befreiung der islamischen Welt von westlicher Kontrolle ist weit verbreitet, nicht nur bei uns in Saudi-Arabien", sagt er, "darin stimmen die Muslime überein, Differenzen gibt es nur über die Methoden, mit denen dieses Ziel erreicht werden soll."

Der amerikanische Zivilist ist ein Gast

So lehne seine Organisation die Selbstmordanschläge auf arabische und westliche Ausländer in Riad ab, erklärt El Woheibi. "Anders als im Irak, wo der US-Soldat ein Besatzer ist, kommt der amerikanische Zivilist mit einem Visum nach Saudi-Arabien. Er ist also ein Gast und darf nicht getötet werden", argumentiert El Woheibi.

Doch wenn fünf finster blickende "Mutawas" - bärtige Religionswächter, die den Auftrag haben, unislamisches Verhalten in der Öffentlichkeit zu verhindern und die Menschen zur Gebetszeit in die Moscheen zu treiben - laut rufend durch ein Einkaufszentrum in Riad ziehen, zucken nicht nur die Ausländer zusammen, sondern auch die Saudis. Frauen zupfen ihre Gesichtsschleier zurecht. Westlich gekleidete junge Männer verstecken sich in den Geschäften.

Die Augen mit dem Schleier verhüllen

"Die Mutawas sind schrecklich, sie haben meine Mutter schon auf der Straße geschlagen", empört sich ein Politikprofessor. Hoda el Dscherasi ist bereits von einem Mutawa unfreundlich aufgefordert worden, nicht nur das Gesicht, sondern auch die Augen mit einem Schleier zu verhüllen. "Die Mutawas haben im Islam eine Funktion, doch ihre Ermahnungen müssen sinnvoll und freundlich sein", meint sie.

Chalil el Chalil, der an der Islamischen Imam-Mohammed-bin-Saud-Universität in Riad lehrt, würde am liebsten gleich die gesamten religiösen Institutionen umkrempeln, die mit ihrer Unfähigkeit nach seiner Ansicht die Jugend in die Arme der Fundamentalisten-Scheichs treibt. "Es ist längst überfällig, dass die wichtigen Positionen mit gebildeten und gemäßigten Religionsgelehrten besetzt werden und nicht mit den Mitgliedern der immer gleichen Familien", sagt er. Das enge Bündnis mit eben diesen Familien ist es jedoch, auf das die Familie der Ibn Saud einst ihr Königreich gegründet hatte.

DPA
Anne-Beatrice Clasmann