Was passiert um uns herum? Geld taucht auf und verschwindet, Geld ist verloren und dann doch nicht, Geld wird endlos geschöpft und reicht doch immer nicht. Gerettete wollen über ihre Rettung abstimmen und die Retter zittern, ob das ihre eigene Rettung bedeutet, bis alles wieder zerbirst.
Ein kühler Kopf müsste nun sagen: Okay, Schluss mit dem Bullshit. Wir haben es versucht, aber es hat nicht funktioniert.
Der große Bluff ist vorbei.
Denn das ist es gewesen - darf man schon im Perfekt schreiben? Nein? Dann eben: Denn das ist es, ein großer Bluff, ein Phantasma zur Rettung Europas. Ein leider notwendiges Phantasma.
Man kann sich diesem Komplex, den immer weniger durchschauen, inzwischen ja nur noch über angestrengte Abstraktion, Paradoxa und Sophismen nähren, was zur Folge hat, dass selbst Halbeingeweihte zuweilen bekennen müssen: Ich schnall das nicht mehr.
Je mehr Käse, desto mehr Löcher
Ein klassischer Sophismus geht so:
Was du nicht verloren hast, das hast du noch.
Hörner hast du nicht verloren.
Du hast also Hörner.
Vor einigen Jahren lösten Philosophiestudenten noch solche Aufgaben:
Wenn Du einen Haufen Kiesel hast, und Du nimmst einen Kiesel weg - hast Du dann immer noch einen Haufen?
Nun wird es schon kniffliger: Nehmen wir die 55 Milliarden Euro der Hypo Real Estate: Die waren verloren. Nun sind sie wieder da. Da wir sie aber nie hatten - sind wir jetzt eigentlich reicher?
Je mehr Käse, desto mehr Löcher. Je mehr Löcher, desto weniger Käse. Ergo: Je mehr Käse, desto weniger Käse.
Beschreibt dieses Paradoxon nicht ziemlich genau die Lage, in der wir sind? Und: Ist jemand, der pausenlos am Abgrund steht, eigentlich noch gefährdet? (Er steht doch seit geraumer Zeit auf stabilem Grund!)
Das Anstrengende ist zumindest, dass sich diese Absurditäten in Spiralen in panischem Tempo drehen, und der Dax und Dow Jones sind nur noch Abbilder dieser Spiralen.
Griechenland folgt seinem Willen.
Griechenland zerstört sich damit selbst.
Ergo: Wer seinem Willen folgt, zerstört sich selbst.
Gut, also, dass das Referendum abgesagt wurde! Oder doch nicht?
Ständige Scheinnotwendigkeiten
Und dann immer diese Scheinnotwendigkeiten! Warum ist es so wichtig, dass die Slowakei mit ihren sieben Milliarden beim Rettungsschirm dabei ist? Wir hebeln das Ding doch eh auf eine Billion, mit oder ohne Slowakei.
Das ist mehr als pseudophilosophische Spielerei. Denn über diese Widersprüche stoßen wir zum chimärenhaften Kern der Euro-Rettung vor: Es geht um die Erzeugung einer Illusion, die mittlerweile nur noch durch Hebelung aufrechterhalten werden kann. Ein Zauberkünstler würde hier kapitulieren, er hat nur eine Stufe der Illusion, bevor er die Frau zersägt.
Ein Staatengebilde wie Europa braucht inzwischen die Multiplizierung, in der Hoffnung, den Hebel entweder nicht zu nutzen oder ihn sanft zurückzufahren, bis die Lage so ruhig geworden ist, dass sich wieder ganz normal weiter verschuldet werden kann. Oder das Problem gelöst wird: Dass wir wieder genug wachsen, um so zu leben, wie wir leben.
Calvinistsicher ausgedrückt: Dass wir soviel ausgeben, wie wir einnehmen.
Eine Rettung ist ein Akt der Menschlichkeit.
Die Euro-Rettung ist voller Grausamkeiten.
Ergo: Was voller Grausamkeiten ist, ist ein Akt der Menschlichkeit.
Man müsste also den Griechen nur noch erklären, dass das Schlechte das Gute ist, oder dass es einem schlecht gehen muss, damit es einem wieder gut geht. Das ist Europa im Jahr 2011!
Ist der Bluff nun verloren?
Zumindest hatte Giorgos Papandreou ein neues Ass aus dem Ärmel geschüttelt, in einem Spiel, in dem schon viel zu viele Asse sind, und gleich wieder eingesammelt. Kurz gärte in Deutschland die berechtigte Frage, warum eigentlich nur die Geretteten und nicht auch die Retter über die Rettung abstimmen sollen.
Wir müssen das alles gar nicht mehr verstehen, denn bis wir es verstanden haben, müssen wir schon wieder das Gegenteil verstehen.
Je mehr Europa uns Sorgen macht, desto mehr Freude bringt es.