Eurokrise Papandreous letzter Poker

Noch ist unklar, ob der griechische Noch-Premier heldenhafter Märtyrer ist oder Polit-Dilettant. Sicher ist nur, dass Europa nach seiner Referendums-Katharsis anders aussieht als vorher. Und zwar so.

Wow. Was für eine Woche. Was für eine Show. Am Montag ließ Giorgos Papandreou seine Referendumsbombe platzen und schickte seine Griechen, die lieben Euro-Kollegen, die Welt und ihre Börsen auf eine Achterbahnritt durch einen lodernden Höllenschlund. Gebrannt hat es, gezischt, geraucht und gekracht. Und nur schemenhaft konnte man erkennen, wie sich Euroretter, vermeintliche Freunde, echte Feinde und zwischendurch das Volk auf Papandreou stürzten. In Brüssel. In Cannes und, klar, in Athen. Am Freitag hat Papandreou seinen Referendumsplan offiziell kassiert. Alle zurück auf Los also? Keineswegs. Der Rauch hat sich zwar immer noch nicht ganz gelegt. Im Gegenteil: in der Nacht auf Samstag, wenn das griechische Parlament über Papandreous Regierung abstimmt, könnte es noch mal krachen. Aber dennoch lässt sich schon jetzt festhalten, dass Europa nach Papandreous Katharsis anders aussieht als vorher. Und zwar so:

Erstens, Papandreou ist politisch am Ende. Und das nicht, weil er - was von vielen, vor allem von uns deutschen Beobachtern, beklatscht wurde - das Volk über das Rettungspaket entscheiden lassen wollte und sich so als Superdemokrat profilierte. Sondern weil er mit dieser brillanten Idee Freund und Feind gleichermaßen überrumpelt hat. So wurde aus einer gut gemeinten Sache ein gut gemeinter Affront und daraus ein politisches Debakel. Papandreou hat die Reaktionen der Euroretter Angela Merkel und Nicolas Sarkozy, aber auch die seiner Genossen von der Panhellenistischen Sozialistischen Bewegung (Pasok) völlig falsch eingeschätzt. Zur Strafe flog ihm der Laden um die Ohren. Er musste kuschen, in Cannes vor der deutschen Kanzlerin und dem französischen Präsidenten, in Athen vor seinen eigenen Leuten, auch vor Finanzminister Evangelos Venizelos. Möglicherweise übersteht Papandreou mit Hängen und Würgen die Vertrauensfrage. Aber eigentlich ist es unvorstellbar, dass er sich mit Pasok-Stimmen oder als Chef einer Übergangsregierung im Amt halten kann.

Zweitens, gleichzeitig ist längst nicht ausgemacht, ob Papandreou als größter politischer Dilettant oder aber als heldenhafter Märtyrer in die Geschichte eingehen wird. Für die Märtyrertheorie gibt es durchaus Argumente, denn seine Harakiri-Strategie hat auch dazu geführt, dass die rechtskonservative Partei Nea Dimokratia unter Führung von Papandreous vormaligem Mitbewohner Antonis Samaras gelobt hat, die harten Sparauflagen, die mit dem Rettungspaket einhergehen, erfüllen zu wollen. Sicher, es bleibt unverhältnismäßig halsbrecherisch, mit diesem Ziel vor Augen die ganze Welt über den Abgrund zu jagen. Aber das Ergebnis immerhin kann Papandreou als Erfolg verbuchen - die weiter gehenden Fragen müssen dann wohl irgendwann Historiker beantworten.

Drittens, auch wenn die Griechen Papandreou vom Hof gejagt haben, ist völlig offen, ob seine Nachfolger für größere Stabilität sorgen können. Scheitert das Vertrauensvotum im Parlament, wird es vermutlich schnell Neuwahlen geben, wahrscheinlich im Dezember. Glaubt man den gegenwärtigen Umfragen, würden diese Samaras und seine Nea Dimokratia an die Macht bringen. Das wäre eigentlich ein Witz, weil die Partei nicht nur einen lausigen europäischen Leumund hat, sondern zudem die getürkten Haushaltszahlen größtenteils mitzuverantworten hat. Star-Ökonom Nouriel Roubini twitterte am Freitagmorgen: "Der griechische Fuchs (die Nea Dimokratia), der den Hühnerstall überfallen hat, will ihn jetzt wieder bewachen. Deren Glaubwürdigkeit ist schmutziger als Dreck." Übersteht Papandreou das Votum, ist offen, wie eine Übergangsregierung aussehen würde. Wären darin Experten vertreten? Oder Politiker der beiden großen Parteien? Könnte sich diese Regierung tatsächlich auf ein Programm einigen? Und wie lange sollte sie Bestand haben? Diese Fragen sind nicht beantwortet, teils stark umstritten. Auch eine Übergangsregierung kann keine Stabilität garantieren.

Überhaupt gilt, viertens, dass die Welt nach dieser Woche ein Stück unsicherer ist. War Vertrauen schon vor dem Höllenritt ein rares Gut, ist es nun fast nicht mehr vorhanden. Denn was sind stolz verkündete Rettungspakete wert, wenn die Beteiligten sie schon eine Woche darauf in Frage stellen? Wem sollen Anleger da trauen?

Fünftens, Papandreous Crashkurs hat die Eurorettung endgültig zu einer sehr persönlichen Angelegenheit der Regierungschefs gemacht. Klar, Merkel und Sarkozy stehen schon seit Wochen als Retter im Vordergrund, Crazy Silvio Berlusconi als unverbesserlicher, schlimmer Finger, Papandreou bislang als wackerer Kämpfer. Sein Aussetzer hat zu harschen politischen Reaktionen geführt, die aber auch persönlichen Gefühlsregungen entsprechen: Merkel und Sarkozy waren "sauer", Jean-Claude Juncker sprach von fehlender Loyalität. Allesamt zeigten die Eurochefs Papandreou - und damit den Griechen - die Grenzen, die rote Linie auf. Die Botschaft: Wir lassen uns von Euch nicht vorführen, liebe, verfluchte Griechen. Wenn ihr euch nicht retten lassen wollt, fliegt ihr eben aus der Eurozone. Und tschüs! Bis ihr euch nicht entschieden habt, gibt's keinen müden Cent.

A propos Schluss mit lustig. Seit dieser Woche kann, sechstens, keiner mehr der Illusion erliegen, dass die staatliche Souveränität von Schuldensündern in dieser Krisenzeit unantastbar ist. De facto haben Griechenland und Italien in den vergangenen Wochen einen Großteil ihrer Eigenständigkeit eingebüßt. Griechenland stand zwar schon länger unter der Kuratel der "Troika" von EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF). Aber die Tatsache, dass Papandreou unter anderem auf gewaltigen äußeren Druck hin eine im Kern innenpolitische Entscheidung revidieren musste, zeugt von einer neuen Dimension der Einmischung. Für Italien gilt Ähnliches. Wer also nun vor einer innereuropäischen Fiskalunion mit Verweis auf die Schutzbedürftigkeit staatlicher Souveränität warnt, dem sei gesagt, dass diese schon jetzt bis zur Unkenntlichkeit aufgeweicht ist. Und zwar zurecht.

Überhaupt ist, siebtens, die Zeit der Freundlichkeiten in der Eurokrise endgültig vorbei. Die letzten Tabus sind gebrochen. Es war ein großer Schritt, dass Merkel und Sarkozy alle Folterinstrumente, auch die grausamsten, in Cannes auf den Tisch legten, auch das mögliche Ausscheiden der Griechen aus der Eurozone. Das war brutal, eine Drohung, die nicht unendlich wirken kann. Aber das hatte auch etwas Befreiendes.

Achtens, es hat sich in Europa - und möglicherweise auch darüber hinaus - ein neues Machtzentrum gebildet: die "Frankfurter Runde." Nicht nur vergangene Woche in Brüssel, sondern auch bei den G20 war jene Gruppe von entscheidender Bedeutung, die sich vor etwas über zwei Wochen das erste Mal in der Alten Oper in Frankfurt getroffen hatte. Mit dabei waren damals: Sarkozy, während Carla Bruni in den Wehen lag, Merkel, EU-Ratspräsident Herman van Rompuy, EU-Kommissionschef Jose Manuel Barroso, Eurogruppenchef Juncker, IWF-Chefin Christine Lagarde und der EZB-Chef, damals Jean-Claude Trichet, nun Mario Draghi. Diese Gruppe ist das neue Direktorium des Kontinents. In Cannes, das berichtet die Nachrichtenagentur DPA ebenso wie die britische "Financial Times", gab es für die "Franfurter Runde" sogar eigene "Badges", Schildchen. Das ist angesichts der Kürze der Zeit schon das maximale an Institutionalisierung, was man erreichen kann. Zur Frankfurt-Plus-Runde am späten Donnerstagabend mussten dann der sündige Berlusconi und der Spanier José Rodriguez Zapatero anrücken, zum Frankfurt-Plus-Plus-Stelldichein stießen dann auch noch US-Präsident Barack Obama und sein Finanzminister Timothy Geithner dazu.

Und damit käme man, neuntens, zu der Deutschen namens Angela Merkel. Die Kanzlerin hat sich binnen kürzester Zeit tatsächlich wieder einmal zur starken Figur Europas aufgeschwungen, mit einer beachtlichen physischen Konstitution - sie sieht immer fitter aus als ihr schöner, aber gerne mit Augenringen versehener Regierungssprecher - und mit einer beachtlichen Durchsetzungsstärke. Schon auf dem Brüsseler Gipfel war sie bei zentralen Fragen obenauf, bemerkenswert aber war ihre schnelle und entschiedene Reaktion auf die Überraschungsparty Papandreous. Von der harten Reaktion hat zwar auch Nicolas Sarkozy profitiert, der aber hatte wiederum auf dem Brüsseler Gipfel durchweg schlechter abgeschnitten. Momentan, das kann keiner bestreiten, ist Merkel Europas Nummer eins.

Und damit, zehntens, zurück zu Giorgos Papandreou und dem Versuch, dessen Kapriolen zu verstehen. Der griechische Noch-Premier ließ am Freitag mitteilen, dass er nicht an seinem Stuhl klebe. Angesichts der Tatsache, dass sein Stuhl, um im Bild zu bleiben, lichterloh brennt, klingt das natürlich wie ein Witz. Eher ist es erstaunlich, dass Papandreou sich so lange im Amt hat halten können. Aber eben das ist auch eine Erkenntnis dieser Tage: Der Grieche an sich und Giorgos Papandreou im Besonderen sind immer für Überraschungen gut.

Sicher ist deshalb: sicher ist nichts.

Es lebe der Euro.