Bei der Fahndung nach dem Mörder der schwedischen Außenministerin Anna Lindh gab es bis zum Sonntagabend trotz des Einsatzes aller verfügbaren Polizeikräfte keinen Durchbruch. Die Polizei veröffentlichte am Sonntag Fotos und Filmsequenzen mit dem Gesicht des mutmaßlichen Mörders. Vier Tage nach der Gewalttat stimmten die schwedischen Wähler am Sonntag über die Einführung des Euro in ihrem Land ab. Der Ausgang des Referendums galt nach sehr unterschiedlich ausgefallenen Umfragen der letzten Tage als völlig offen. Aus den Wahllokalen wurde eine rege Stimmbeteiligung gemeldet.
Als Antwort auf den Mord an der Ministerin rief Ministerpräsident Göran Persson gemeinsam mit allen Spitzenvertretern von Euro-Gegnern und - Befürwortern zu einer massiven Wahlbeteiligung auf. Die beliebte 46 Jahre alte Politikerin war am Mittwoch in einem Kaufhaus in Stockholm niedergestochen worden und einen Tag später ihren schweren Verletzungen erlegen.
Fahndung mit Hochdruck
Die Behörden fahnden weiterhin mit Hochdruck nach dem Mörder. Fahndungssprecher Mats Nylén sagte im Rundfunk, schnelle Hinweise zur Ergreifung seien nach derzeitiger Einschätzung von entscheidender Bedeutung. Die Polizei hatte bereits am Samstag Fahndungsfotos veröffentlicht, auf denen das Gesicht des Hauptverdächtigen jedoch unkenntlich gemacht worden war. Dies wurde mit der Notwendigkeit begründet, etwaige Zeugen nicht zu beeinflussen. In Stockholmer Medienberichten hieß es, die neue Entscheidung sei gefällt worden, nachdem es in den letzten 24 Stunden nicht den erhofften Durchbruch bei der Identifizierung des Hauptverdächtigen gegeben habe.
Polizeisprecherin Stina Wessling sagte am Sonntag einen Tag nach der Veröffentlichung der ersten Fahndungsfotos des Hauptverdächtigen: "Wir wissen nicht, wie er heißt und wo er sich aufhält." Die Polizei mache aber gute Fortschritte bei der "Einkreisung".
Fahndungsbilder aus Überwachungsvideos
Die ersten Fahndungsbilder hatten Polizeiexperten aus Überwachungsvideos des NK-Kaufhauses gefertigt. Sie zeigten bei unkenntlich gemachtem Gesicht einen groß gewachsenen Mann mit blauem Käppi, schulterlangem, dunklem Haar und grauem Sweatshirt, der drei Minuten vor dem tödlichen Angriff im Kaufhaus gefilmt wurde.
Die technische Untersuchung des später gefundenen Sweatshirts und des Käppis sind noch nicht abgeschlossen. Die ebenfalls gefundene Tatwaffe - ein schwedisches Hobbymesser - soll von Spezialisten des Bundeskriminalamtes in Wiesbaden sowie britischen Experten auf mögliche DNA-Spuren des Täters untersucht werden, weil dies in Schweden technisch nicht möglich ist.
Weit schwerere Verletzungen als bisher angenommen
Nach Zeitungsberichten sucht die Polizei den Attentäter nicht mehr nur in Kreisen psychisch stark gestörter Drogenabhängiger mit Vorstrafen wegen Gewalttätigkeit, darunter vor allem Obdachlose. Dies sei auch Konsequenz der Fotos, auf denen ein Mann mit vergleichweise gepflegter Kleidung zu sehen ist. Die Zeitung "Svenska Dagbladet" berichtete unter Berufung auf Quellen im Karolinska-Krankenhaus, dass der Mörder Lindh mit seinem Messer offenbar zielgerichtet weit schwerere Verletzungen zugefügt habe als bisher angenommen.
So soll er das Messer in ihrem Unterleib gedreht haben, was die Leber weitgehend zerstörte und schwere innere Blutungen ausgelöst habe. Die 46-jährige Ministerin und Mutter zweier kleiner Kinder habe deshalb entgegen bisherigen offiziellen Äußerungen schon bei ihrer Einlieferung nur geringe Überlebenschancen gehabt.
Keine Umfrage am Tag des Euro-Referendums
Am Tag des Euro-Referendums wurden keine neuen Umfragen veröffentlicht. Bis zum Mord an Lindh, einer überzeugten Verfechterin der europäischen Währungsunion, hatten die Gegner des schwedischen Beitritts monatelang stabil mit etwa zehn Prozentpunkten vorne gelegen und galten als sichere Sieger.
Mit ersten Prognosen wurde kurz nach Schließung der Wahllokale um 20.00 Uhr (MESZ) und ersten Ergebnissen gegen 21.30 Uhr gerechnet. Den Behörden zufolge gingen zunächst nur wenige der sieben Millionen Stimmberechtigten zur Wahl. Sollten die Wähler für die Gemeinschaftswährung stimmen, wäre Schweden das erste Land, in dem der Euro seit Beginn der Währungsunion 1999 per Volksentscheid eingeführt würde. Nach einer zweijährigen Teilnahme am Europäischen Wechselkursmechanismus könnte dann frühestens 2006 der Euro die Schweden-Krone ablösen.
"Abstimmung sehr wichtig für Schweden"
"Diese Abstimmung ist sehr wichtig für Schweden", sagte der ehemalige Ministerpräsident und Euro-Befürworter Carl Bildt bei der Stimmabgabe. In der schwedischen Bevölkerung gibt es große Skepsis gegenüber dem Euro. Die Debatte in den vergangenen Wochen konzentrierte sich auf die Frage, ob Schwedens niedrigere Arbeitslosigkeit und höheres Wachstum im Vergleich zur Euro-Zone durch die Einführung der Gemeinschaftswährung Schaden nehmen könnte. Für den Euro sind insbesondere die Industrie und die Regierung von Ministerpräsident Göran Persson, während Linke, die Grünen und viele Frauen gegen den Euro sind.
Allerdings könnte die große Sympathie für Lindh in dem skandinavischen Land zu einem Umschwung geführt haben. Die 46-jährige Sozialdemokratin war am Mittwoch in einem Kaufhaus von einem Unbekannten mit einem Messer angegriffen worden. Die Mutter zweier Kinder erlag wenige Stunden später ihren schweren Verletzungen. Bislang hat die schwedische Polizei keinen Tatverdächtigen genannt. "Es herrscht ein nationales Gefühl einer Katastrophe", sagte ein Mitarbeiter des Meinungsforschungsinstituts Temo. Dessen Angaben zufolge sind 46 Prozent gegen den Euro und 40 Prozent für ihn. Dagegen sind der jüngsten Gallup-Umfrage 43 Prozent der Befragten für den Euro, 42 Prozent lehnen ihn ab. Vor Lindhs Tod hatte eine Umfrage dieses Instituts noch ergeben, dass 50 Prozent der Befragten den Euro ablehnten und 35 Prozent seiner Einführung zustimmten.
Seit 1995 Mitglied der EU
Schweden ist zwar seit 1995 Mitglied der Europäischen Union, aber wie Dänemark und Großbritannien nicht der Euro-Zone. Die Dänen hatten sich September 2000 mit 53 zu 47 Prozent gegen den Euro entschieden. In Großbritannien ist noch kein Termin für eine Abstimmung festgelegt worden. Sollten die Schweden den Euro akzeptieren, würde die schwedische Krone in einem ersten Schritt Ende des Jahres oder Anfang 2004 in den Europäischen Wechselkursmechanismus aufgenommen und damit eng an den Euro gebunden.