Anzeige
Anzeige

Sterbehilfe-Debatte Italien stürzt in Verfassungskrise

Nach dem unerwarteten Tod der Komapatientin Eluana Englaro eskaliert in Italien der Streit um die Sterbehilfe. Katholiken und Liberale stehen sich unversöhnlich gegenüber. Scheinbar versucht Premier Silvio Berlusconi, den Streit für sich zu nutzen: Er bläst zum Angriff auf die Verfassung.
Von Luisa Brandl, Rom

Im italienischen Parlament sind hitzige Auseinandersetzungen nichts Ungewöhnliches. Doch die Tumulte, die durch die Nachricht von Eluana Englaros Tod am Montagabend im Senat auslöst wurden, übertrafen jedes Maß. Die 38-jährige Komapatientin war überraschend gestorben, nachdem Ärzte die Apparate, die Englaro künstlich am Leben erhielten, vor vier Tagen abgeschaltet hatten. "Eluana ist nicht gestorben, sie wurde getötet", tobte Senator Gaetano Quagliariello. Im Hintergrund ertönten "Mörder, Mörder" -Rufe. Es kam zu Handgreiflichkeiten, einige Senatoren verließen empört den Saal. Senator Ezio Borghezio sprach von einem "Staatsmord". Englaros Tod hätte verhindert werden müssen, so der Tenor.

Die Todesnachricht platzte im Senat mitten in die Beratungen über ein Eilgesetz zur Fortsetzung von lebenserhaltenden Maßnahmen. Der Entwurf hätte am Dienstag im Abgeordnetenhaus verabschiedet werden sollen. Doch der makabre Wettlauf zwischen Gesetz und Tod fand ein abruptes Ende. "Mit großer Bitterkeit" stellte Premier Silvio Berlusconi fest, dass "der Handlungsspielraum der Regierung es nicht ermöglichte, Englaros Leben zu retten".

Staatspräsident Giorgio Napolitano hatte sich zuvor geweigert, ein Dekret der Regierung zu unterschreiben, das die Sterbehilfe untersagt. Napolitano begründete dies mit dem Verweis auf ein rechtskräftiges Urteil des Obersten Gerichtshofs.

Tiefe Spaltung zwischen Liberalen und Katholiken

Berlusconi reagierte verärgert und konterte mit einem nur wenige Zeilen umfassenden Gesetzentwurf. Diese eilig verfasste Vorlage ist nun sinnlos geworden. Das Schicksal Eluanas hat aber lagerübergreifend die Parteien zur Einsicht gezwungen, dass es eine gesetzliche Reglung zum Thema Sterbehilfe geben muss. Das Thema stand bislang allenfalls pro forma auf der Tagesordnung, da Katholiken und Liberale sich zutiefst uneins sind. Nun sollen die Beratungen aber schnell wieder aufgenommen werden. Gesundheitsminister Maurizio Sacconi nannte einen Zeitrahmen von zwei Wochen für ein neues Gesetz.

Der Fall Eluana spaltet Italien. Vor der Privatklinik in Udine, in der Englaro zuletzt behandelt wurde, war die Stimmung nicht weniger aufgebracht als im Senat. Militante Katholiken wachten seit Tagen unter dem Krankenzimmer. Sie zeigten Transparente mit der Aufschrift "Mörder", "Henker", "Barbaren". Als Englaros Tod um 20.10 Uhr bekannt gegeben wurde, kochte die Stimmung hoch. Wilde Beschimpfungen richteten sich vor allem gegen den Vater Giuseppe Englaro, während dessen Anhänger Eluana mit einem langen, warmen Applaus verabschiedeten. "Nun ist sie frei", sagte Englaro knapp. 17 Jahre lang hatte seine Tochter nach einem Autounfall im irreversiblen Wachkoma gelegen. Englaro hatte in einem jahrelangen Rechtsstreit für Sterbehilfe gefochten. Er sei der einzig Verantwortliche, der ihren Willen, im Notfall nicht künstlich am Leben erhalten zu werden, durchgesetzt hat, erklärte er mit einem vor Anspannung wächsernem Gesichtsausdruck.

Katholischer Kreuzzug gegen "Sterbehilfe"

In den vergangenen Wochen war Englaro einem enormen öffentlichen Druck ausgesetzt, der auch jetzt nicht abzunehmen scheint. In dieser gereizten Stimmung wurde nun sogar der Verdacht laut, die Ärzte hätten Eluanas Sterben beschleunigt, um einem Sterbehilfe-Verbot zuvor zukommen. "Das war Euthanasie", kommentierte Senator Maurizio Gasparri. Schon in den vergangenen Tagen hatte Minister Sacconi Vorbehalte gegen die Klinik geäußert und Inspektoren nach Udine entsandt. Die Krankenakte und die Sterbeurkunde Englaros wurden bereits beschlagnahmt. Die Entscheidung über eine Autopsie steht noch aus.

Der Vatikan, die mächtige italienische Bischofskonferenz und katholische Medien hatten über Wochen einen Kreuzzug geführt. Würdenträger der Kirche prangern nun alle an, die sich an der "Euthanasie" beteiligt haben, auch wenn jetzt "der Moment der Vergebung und Versöhnung" sei. Trotz der Aufforderung aus katholischen Kreisen, sich gegen die Sterbehilfe einzusetzen, hatte sich Berlusconi bis zuletzt aus dem Fall Eluana herausgehalten. Was ihn dazu bewogen hat, sich in letzter Minute doch einzuschalten, darüber spekulieren jetzt die italienischen Medien.

Provoziert Berlusconi einer Verfassungskrise?

Berlusconi habe den Fall zum Vorwand genommen, um einen wiederholten Angriff auf den Staatspräsidenten zu lancieren, beobachten Kritiker. Der Premier habe einen Konflikt auf höchster politischer Ebene heraufbeschwören wollen. Eine Giftwelle sei da im Anrollen, dessen volle Wucht noch gar nicht abschätzbar sei, kommentierte die Tageszeitung "Corriere della Sera". Einerseits greift Berlusconi Staatschef Napolitano persönlich an, nennt ihn indirekt "kommunistisch" und "sowjetisch geprägt". Zum anderen lässt er es auf eine offene Machtprobe mit dem höchsten Amt des Staates ankommen. "Wenn man mir Steine in den Weg legt und ich nicht richtig regieren kann, muss eben die Verfassung geändert werden", tönte er unlängst. Es geht um die Gewaltenteilung in einem Rechtsstaat. Der Fall eines Einzelschicksals hat eine besorgniserregende Verfassungskrise ausgelöst.

Mehr zum Thema

Newsticker