Afghanistans Staatschef Hamid Karsai steht nach dem Rückzug seines Herausforderers Abdullah Abdullah vor einem Durchmarsch bei der Stichwahl um das Präsidentenamt - und kann dennoch nur verlieren. Die zu erwartende Ein-Mann-Show im zweiten Durchgang dürfte die durch den Wahlbetrug ohnehin schon beschädigte Legitimität Karsais weiter untergraben und den radikalislamischen Taliban-Rebellen neuen Auftrieb verleihen, sagen Kenner des Landes voraus. Als einzigen Ausweg sehen einige Politiker nur noch die Einberufung einer traditionellen Stammesversammlung, einer Loja Dschirga.
Harun Mir vom afghanischen Zentrum für Politikforschung befürchtet, dass die Beteiligung an der Stichwahl nun unter 20 Prozent fallen könnte. Unter diesen Bedingungen werde Karsai von der Bevölkerung und der Opposition nicht als rechtmäßiger Sieger anerkannt werden. Bereits im ersten Wahlgang im August waren die meisten Afghanen aus Angst vor Taliban-Anschlägen oder Frust über das politische System zu Hause geblieben, die Beteiligung lag bei knapp 39 Prozent.
Sechs Tage vor der geplanten Stichwahl machte Abdullah aus Protest gegen die Wahlfälschungen der ersten Runde einen Rückzieher. Die Entscheidung sei "endgültig", sagte er, sendete aber zugleich gemischte Signale. So rief der frühere Außenminister seine Anhänger auf, den Urnengang nicht zu boykottieren und keine Demonstrationen zu starten.
Abdullah schließt Zusammenarbeit mit Karsai nicht aus
Vermutungen, er habe seine Kandidatur im Gegenzug für eine Beteiligung an einer möglichen Regierung der nationalen Einheit fallen gelassen, wies Abdullah aber zugleich energisch zurück. Die Entscheidung sei "nicht im Austausch gegen was auch immer von wem auch immer" gefallen. Im britischen TV-Sender Sky News schloss er eine Zusammenarbeit mit Karsai allerdings auch nicht aus. Es sei "zu früh, um darüber zu reden", sagte Abdullah.
In der afghanischen Verfassung ist keine Regelung vorgesehen für den Fall, dass sich ein Kandidat vor der Stichwahl zurückzieht. Abdullahs Name wird daher wahrscheinlich trotzdem auf dem Stimmzettel stehen. "Die Verfassung sieht keine Alternative vor", sagte Nader Naderi, der eine zivilgesellschaftliche Organisation für freie Wahlen in Afghanistan leitet.
Die politische Krise könne im derzeitigen rechtlichen Rahmen nicht gelöst werden - und nütze nur den Taliban, sagte Naderi. "Sie werden mehr Leute rekrutieren können, für sie ist das effektive PR." Umgehend nach Bekanntwerden des Rückzugs Abdullahs drohte ein Taliban-Sprecher bereits mit einer neuen Anschlagswelle, sollte wirklich eine Stichwahl stattfinden.
Daud Sultansoi, ein unabhängiger Abgeordneter und ehemaliges Mitglied in Karsais Regierung, sagte, die derzeitige Lage sei "unbekanntes Gebiet". Der Makel des Wahlbetrugs werde immer an Karsai hängen. "Es geht nicht mehr um einen Beliebtheitswettbewerb zweier Kandidaten, sondern um den Willen des Landes", sagte Sultansoi. Daher forderte er eine Loja Dschirga, auf der Stammesälteste über einen Ausweg beraten sollten. Zugleich müsse diese Versammlung moderaten Taliban-Führern den Weg zurück in die afghanische Politik ebnen. "Wir müssen kreativer werden", sagte der Parlamentarier.
Karsai scheint dagegen um jeden Preis an der Stichwahl und damit an der Macht festhalten zu wollen. Die ihm wohl gesonnene Unabhängige Wahlkommission (IEC) lehnte eine Absage des zweiten Durchgangs jedenfalls ab. Und der Präsident selbst sagte, er hoffe darauf, dass die für Samstag geplante Stichwahl stattfinde. Dabei wäre alles andere als ein Sieg für den alleinigen Kandidaten eine Überraschung.