Taktik im Ukraine-Krieg
Angriffsziel Staudamm: stern-Experte erklärt, wie Russland Flutwellen als Taktik nutzen könnte
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Gernot Kramper (stern) Bei einer Explosion oder einer plötzlichen Zerstörung der Staustufe würden Flutwellen ausgelöst werden. Je nachdem, wo das so ist, wären die Auswirkungen katastrophal // Oder ein Damm wird zerstört. Das dauert ja Jahre, um so was wieder aufzubauen. Das ist ein nicht-reparabler Schaden.
Hendrik Holdmann (stern) Sämtliche Übergänge über den Dnepr, das ist dieser große Fluss, der durch die Ukraine läuft und auch entscheidend für diesen Krieg ist, sind zerstört worden. Nun geraten Staudämme in den Fokus der Kriegshandlungen. Was macht sie so besonders an dieser Region?
Gernot Kramper (stern) Ja, also das muss man natürlich wissen, dass der Dnepr das ganze Land in der Mitte durchschneidet. Und der ist mal breiter und manchmal ist er wirklich sehr, sehr breit. Das ist einfach ein sehr großer Fluss und dieser Fluss wird an verschiedenen Stellen aufgestaut, um Wasserkraftwerke damit zu speisen. Das ist ja auch ganz natürlich, aber ist beispielsweise anders als bei uns die Elbe oder der Rhein, die ja nun nicht komplett irgendwo zu riesigen Staustufen aufgestaut worden sind. Das ist auch eine Idee aus der Sowjetzeit. Das hat man eben auf billige natürliche Energie gesetzt. Diese Staustufen sind aber wiederum auch Straßen, also das heißt, über den Damm kannst du rüberfahren. Das ist also gewissermaßen keine Brücke, sondern ein Damm, der befahrbar ist. Das sind diese Fluss-Übergänge. Und diese Staustufen sind in verschiedener Hinsicht interessant. Das eine ist das, dass bei einer Explosion oder einer plötzlichen Zerstörung der Staustufe würden Flutwellen ausgelöst werden. Je nachdem, wo das so ist, wären die Auswirkungen katastrophal oder vielleicht auch nicht. Und es kommt ein bisschen darauf an, wie das verläuft, weil ja nicht alle Gebiete direkt am Fluss eng bebaut sind. Aber da können große Katastrophen passieren. Die hat es eben früher bei diesen Sprengungen von diesen Dämmen durchaus gegeben, auch mit Absicht. Also ich erinnere an die britischen Dam-Buster. Da war ja der Verlust der Zivilbevölkerung in Folge der Sprengung der Sperren ganz einkalkuliert. Also so gut, das hat man bis jetzt so nicht gemacht. Es kann auch durchaus passieren, dass man diese Dämme beschädigt und sie nicht praktisch auf einmal durchbrechen und unten eine Riesenwelle machen. Aber die kommen natürlich jetzt in das Visier, weil die Russen greifen ja massiv die Infrastruktur an, insbesondere die Stromversorgung, und das besteht ja aus Kraftwerken und so Knotenpunkten und Relaisstation. Knotenpunkte und Relaisstationen, wenn die exakt getroffen werden, können aber wieder repariert werden, weil der Westen helfen wird und weil man das nur mit Kriegs-Ingenieurwissenschaft Wissenschaft zusammenflickt. Das heißt, es funktioniert ja nicht so hier wie nach DIN-Handbuch mit allen möglichen Prüfungen, sondern dass das irgendwie funktioniert. Solange die Ersatzteile kommen, ist das noch vorstellbar. Aber wenn die Kraftwerke selber - nehmen wir ein Gaskraftwerk oder ein Kohlekraftwerk – brennt komplett ab wegen der Kohlevorräte oder ein Damm wird zerstört. Das dauert ja Jahre um so was wieder aufzubauen. Das ist nicht ein nicht-reparabler Schaden. Das heißt, wenn man ein Kraftwerk ausschaltet, ist das Stromnetz eben dauerhaft geschwächt, zumal das Netz selber auch geschwächt ist und man nicht einfach Strom aus dem Ausland nachfüllen kann. Und deshalb sind diese Dämme hochgradig attraktive Ziele. Früher haben die Russen ja geglaubt, dass sie selber mal die ganze Ukraine erobern werden. Da haben sie die Dämme gebraucht, um selbst ihre Truppen übersetzen zu können. Auch weil sie natürlich die Infrastruktur noch weiter nutzen wollten. Wenn sie dieses Ziel aufgegeben haben, ist es der natürliche Vorgang, eben diese Dämme irgendwie zu attackieren. Vor allem aber auch, weil die Ukraine ihre Truppen über diesen Fluss immer bringen muss. Auch die Truppen, die jetzt bei Cherson freigeworden sind, müssten über den Fluss und es gibt wenige Übergänge. Und wenn die zerstört werden – klar kann man das dann alles so mit Ponton-Brücken umfunktionieren und irgendwie übersetzen, aber das lähmt natürlich alle Operationen.