Geschichte einer Flucht – Teil 3
Flucht aus der DDR – der Moment als es hieß: "Lauf los!"
1989 fassen meine Eltern den Plan mit mir aus der DDR zu fliehen. Unser Ziel: Freiheit. Unser Fluchtweg: riskant. Zum ersten Mal sehe ich meinen Fluchtweg noch einmal. Meine Zeitreise- 30 Jahre danach.
Ungarn 20. August 1989: Ich bin 13 und mit meinen Eltern und unserer Fluchthelferin suchen suchen wir einen Fluchtweg in den Westen, nach Österreich, als wir in eine Straßensperre geraten. Meine Eltern werden abgeführt und verhört. Ich sitze verängstigt im Auto der Fluchthelferin und ein Sicherheitsbeamter schüchtert sie ein. Doch dann kommen meine Eltern tatsächlich zurück - niemand konnte ihre Version widerlegen, dass wir in Ungarn einfach Urlaub machen. Geben meine Eltern jetzt etwa auf?
Jetzt oder nie also: in einem Waldstück ziehen wir schwarze Kleidung an, nehmen unseren Rucksack, darin auch drei Äpfel, eine Zange und Pfeffer gegen Spürhunde. Die Fluchthelferin fährt uns nach Kópháza, nur ein Kilometer von der österreichischen Grenze entfernt. Ich weiß noch, dass wir irgendwo im Dunkeln an einem Abhang rausgelassen wurden, unten waren Bahngleise. Diesen Ort suche ich.
Es gibt nur eine Stelle hier, an der die Bahngleise tiefer liegen – der Bahnhof. Wir sind tatsächlich richtig. Von hier aus machen wir uns vor 30 Jahren zu dritt auf den Weg. Das Ziel: Österreich. Was wir nicht ahnen, die Grenze liegt nur wenige hundert Meter vor uns. Auch mein Kamerateam versucht zu verstehen, wie sich das damals für mich angefühlt hat.
Mir kommt das ganze damals eher wie ein Abenteuer vor, eine spannende Nachtwanderung, im Schutz meiner Eltern fühlte ich mich trotzdem sicher.
Mit 13 war mir die Gefahr nicht bewusst. Jetzt 30 Jahre später hier zu stehen, macht das Risiko spürbarer für mich. Meine Perspektive hat sich verändert.
Die Grenzpatrouille entdeckt uns zum Glück nicht. Dann geht alles ganz schnell.
Unser einziger Gedanke: Wir müssen es zum Wald schaffen.
Nach Drei-Stunden-Fußmarsch und einem weiteren Grenzzaun, den wir mir der Zange durchschneiden, sind wir sind in Österreich.
Wir kommen in den Weinbergen Österreichs an, nahe Deutschkreutz, und ahnen nicht, was uns dort noch erwarten wird!
Was uns auch erwartet ist eine unfassbare Hilfsbereitschaft. In Deutschkreutz gibt es sogar ein freiwilliges Hilfskomitee, dass sich um DDR-Flüchtlinge kümmert: rund 100 kommen im August 1989 täglich allein hier über die Grenze und werden herzlich aufgenommen. So wie meine Eltern und ich. Übermüdet, erschöpft aber überglücklich nimmt uns mitten in der Nacht diese Familie auf.
Ich war ein Teenager kann mich aber noch gut erinnern, wie wohl ich mich in dieser Nacht bei Familie Gmeiner gefühlt habe.
Und dann bekommen wir spontanen Besuch. Im Ort hat sich herumgesprochen, dass eine Journalistin hier ist, die damals unter den Flüchtlingen war. Die ehemaligen Helfer erzählen uns von vielen Einzelschicksalen im Sommer 89.
Stundenlang könnte ich den Geschichten über die Schicksale der Ankömmlinge zuhören – die Herzlichkeit der Helfer ist überwältigend. Und dann überrasche ich noch meine Eltern mit einem kleinen Anruf.
Der 20. August 1989 hat uns für immer miteinander verbunden. Unvergesslich!
Letztlich sind wir aber nur eine Familie von vielen tausenden – und jede hat ihre ganz eigene Geschichte.