Der gemäßigt islamische Außenminister Abdullah Gül soll neuer Präsident des EU-Kandidaten Türkei werden. Die regierende AK-Partei gab die Nominierung des 56-jährigen Wirtschaftsprofessors als Kompromisskandidaten in Ankara bekannt. Lange Zeit hatte Ministerpräsident Tayyip Erdogan als Favorit gegolten. Der AK-Chef stieß bei den laizistischen Eliten des Landes aber auf Widerstand. Zudem hätte Erdogan bei einem Umzug ins Präsidialamt seiner Partei Ende des Jahres nicht mehr als Wahllokomotive zur Verfügung gestanden.
Der Präsident wird in der Türkei vom Parlament gewählt. Die Wahl Güls als Nachfolger von Ahmet Necdet Sezer dürfte sicher sein, da die Regierungspartei im Parlament über eine breite Mehrheit verfügt. Die Abstimmungen beginnen Ende April, am 16. Mai soll das neue Staatsoberhaupt vereidigt werden. Die exekutiven Vollmachten liegen in der Türkei bei der Regierung, doch ist der Präsident Oberkommandierender der Streitkräfte. Er kann zudem Gesetze blockieren und ernennt wichtige Beamte. Erdogan hatte mehrmals die Möglichkeit einer Kandidatur angedeutet, sein Interesse jedoch nie offiziell bekundet. Gegen eine Kandidatur des Regierungschefs hatten Anfang April 350.000 Menschen demonstriert.
Verzicht aufs Tagesgeschäft
Der Verzicht Erdogans dürfte die Wahlchancen der AKP erhöhen. Als Präsident wäre er zur Überparteilichkeit verpflichtet gewesen und hätte sich nicht in die Tagespolitik einmischen dürfen. Unter Erdogan hatte die Türkei einen starken wirtschaftlichen Aufschwung genommen und 2005 die mittlerweile ins Stocken geratenen Beitrittsverhandlungen mit der EU begonnen. Die säkularen Eliten des Landes werfen Erdogan vor, die weltlichen Grundlagen des Staates durch die Förderung islamisch gesinnter Beamten und die Lockerung des Kopftuchverbots zu untergraben.
Gül ist ein international anerkannter Diplomat, in dessen Amtszeit als Außenminister der Beginn der Beitrittsverhandlungen zur Europäischen Union fiel. Seine Nominierung dürfte gleichwohl Besorgnisse in der Armee auslösen, die sich traditionell als Bewahrerin des laizistischen Erbes von Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk sieht. So trägt Güls Frau in der Öffentlichkeit ein Kopftuch, was für zusätzlichen Zündstoff sorgen dürfte.
Die türkischen Märkte reagierten mit leicht nachgebenden Kursen auf die Nachricht von der Nominierung Güls. Die meisten Analysten bewerteten die Kandidatur des als weltoffen geltenden Außenministers, der fließend Englisch spricht, positiv. Güls Aufstellung dürfte hartgesottene Laizisten zwar nicht besänftigen, eine an den Märkten befürchtete schwere Krise aber verhindern, sagte der Türkei-Experte Wolfgang Piccoli von Eurasias Political Risk Consultancy. Das Militär traue Gül mehr als anderen AKP-Spitzenpolitikern.