Selenskyj zu Besuch in Berlin Die Lage in der Ukraine ist ernst. Wir brauchen endlich mehr Realismus

Eine Frau beweint einen bei Torezk im Osten der Ukraine gefallenen Soldaten
Eine Frau beweint einen bei Torezk im Osten der Ukraine gefallenen Soldaten
© Evgeniy Maloletka / DPA
Der Ukraine-Gipfel ist abgesagt – Präsident Selenskyj kommt trotzdem, um Kanzler und Bundespräsident zu treffen. Das zeigt den Ernst der Lage. Und dass wir einen Ausweg brauchen.

Wer dieser Tage durch die Ukraine fährt, der erkennt nach einer Weile eine gewisse Regelmäßigkeit: Je höher der Mensch in der Nomenklatur, je weiter entfernt vom Schützengraben, wo die 500 und 1000 Kilogramm schweren russischen Gleitbomben fallen, desto lauter die Phrasen: Wir können, nein wir müssen siegen, wir dürfen jetzt nicht nachlassen, Verhandlungen mit Putin sind sinnlos.

Ganz unten in dieser Hierarchie stehen Jungs wie Jewgenij, 34, der sagt: "Meinen 35. Geburtstag erlebe ich nicht mehr." Ihn haben sie in seiner Heimatstadt Uschhorod auf der Straße eingesackt, in Handschellen abgeführt, Dokumente über Untauglichkeit? Egal. Gut einen Monat später saß er im Schützengraben, ganz vorne, mit einem Maschinengewehr, in Stahlgewittern aus Gleitbomben, Drohnenattacken, Artilleriegranaten und Kugeln. Durchs Funkgerät hieß es: "Position halten." Aber am 11. Tag hauten er und seine Kameraden ab, weil sie verstanden: Spätestens morgen sind wir tot.