Sieben Monate dauert die Schlacht um Bachmut nun an, Abertausende von Soldaten sind dort gestorben, die Hälfte der Stadt ist zerstört und immer wieder taucht die Frage auf: Was ist so wichtig an dem Ort, in dem einst 75.000 Menschen lebten? Die Antwort darauf hängt davon ab, wen man fragt.
Bachmut ist ein Etappenziel
Die Ukrainer hatten im Osten ihres besetzten Landes drei Verteidigungslinien erreichtet. Die erste in der Region Popasna ist bereits im vergangenen Mai gefallen. In der Verlängerung liegen Bachmut und Soledar, sie zählen zur zweiten Front. Sollte Bachmut fallen, bliebe nur noch die Linie bei Kramatorsk übrig. Danach hätten die Russen freie Bahn, um den kompletten Donbass zu erobern. So beurteilen auch der ukrainische Präsident Wolodymjr Selenskyj und der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu die Lage.
Strategisch ist Bachmut also durchaus wichtig, wenn auch nur als notwendiges Etappenziel. Einige Militärexperten zweifeln allerdings daran, dass die Kremltruppen in der Lage sind, eine "geöffnete Tür zum Donbass" (Schoigu) überhaupt für sich zu nutzen: "Die russische Logistik ist ziemlich schlecht. Wenn sie also einen Durchbruch schaffen, werden sie ohnehin durch ihre logistischen Probleme gebremst, die schon vorher bestanden", glaubt etwa der Militärexperte Patrick Bury von der Universität im britischen Bath.
Die Ukrainer nutzen die Schlacht zudem als "Fleischwolf", um den Gegnern größtmögliche Verluste zuzufügen, sie zu binden und sie so von anderen Offensiven abzuhalten. Die Nato schätzt, dass die Verluste derzeit im Verhältnis 1:5 liegen – für einen getöteten Ukrainer fallen also fünf Russen. Letztere sind vor allem Söldner der Gruppe Wagner, der laut des britischen Geheimdienstes langsam die Kämpfer ausgehen könnten. Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin hatte lange Zeit Häftlinge für seine Armee rekrutiert. Doch das wurde ihm vom Kreml verboten, sodass Wagner Schwierigkeiten hat, die Verluste auszugleichen.
Machtkampf mit russischem Verteidigungsministerium
Die Hälfte der eingesetzten Gefangenen sei Opfer der schweren Kämpfe geworden. "Dauert das Rekrutierungsverbot an, wird Prigoschin wahrscheinlich gezwungen sein, Umfang oder Intensität der Wagner-Einsätze in der Ukraine zu reduzieren", heißt es in der Einschätzung aus London. Dass Moskau die Söldnertruppe schwächt, indem sie ihr das Anwerben von Gefangenen verbietet, ist wohl auch dem Machtkampf zwischen Prigoschin und dem Verteidigungsministerium geschuldet. Erst vor kurzem hatte sich der Wagner-Chef über ausbleibenden Munitionsnachschub beschwert und mit dem Abzug seiner Soldaten aus Bachmut gedroht.
Die Stadt ist deshalb auch zum politischen Symbol für beide Seiten geworden. Jewgeni Prigoschin braucht die Eroberung Bachmuts zur Bestätigung seines Machtanspruchs und der Kreml dürstet ohnehin nach jedem militärischen Erfolg, den er kriegen kann. Vor allem, weil der Blutzoll mittlerweile so hoch ist, dass Russland zum Sieg verdammt ist – und die Ukraine auf der anderen Seite jeden weiteren Tag, den die Stadt nicht fällt, als heldenhaften Widerstand feiern kann. "Die Verteidigung der Festung hält an", sagte jetzt der Kommandeur der ukrainischen Landstreitkräfte, Olexandr Syrskyj. Seinen Angaben zufolge fügten seine Truppen dem Gegner mit Artillerie und Panzern "spürbare Verluste" zu.
Prigoschin warnt vor Ukraine-Offensive
Doch mit der Festungsverteidigung allein wird es nicht getan sein. Deshalb rechnet die russische Seite mit einem ukrainischen Gegenstoß. Es ist wieder der öffentlichkeitssuchende Prigoschin, der auf das Bedrohungsszenario per Videobotschaft hinweist. Obwohl sich russischen Berichten zufolge mehrere ukrainische Brigaden zusammenziehen, ist es bislang das Tauwetter und der dadurch verursachte allgegenwärtige Schlamm, der schnelle Vorstöße abseits von befestigten Straßen verhindert. Doch die "Rasputiza", wie die Matschzeit genannt wird, endet bald. Dann sind auch die ersten von der Bundeswehr am Leopard II ausgebildeten Ukrainer einsatzbereit – mutmaßlich mitsamt den Kampfpanzern.