Vor wenigen Tagen wurde es nach viel Theaterdonner bekanntgegeben: Der Westen liefert schwere Kampfpanzer in die Ukraine. Überraschend war das nicht, ohne neues Material hätte Kiew im Sommer 2023 irgendwann die Fähigkeit verloren, den Krieg weiterzuführen. Und zudem wurden schon zuvor Schützenpanzer zugesagt. Eine Waffengattung, die ohne Kampfpanzer kaum sinnvoll eingesetzt werden kann.
Noch laufen die Zahlen der zugesagten Panzer ein. Im Einzelnen sind sie nicht überragend, aber in der Summe werden eher mehr als die 300 von Kiew geforderten Kampfpanzer zusammenkommen, wenn man die T72 Varianten aus Polen und eventuell Marokko mitzählt.
Gleichzeitig wird über Kampfjets und Hubschrauber diskutiert. Sie werden folgen und dann beginnt die nächste Runde: weitreichende Raketenwaffen.
Es besteht wenig Zweifel, dass Kiew dies alles erhält, die Frage ist eher, wann und wie viel. Die Zusagen für Panzer sind ein deutliches Zeichen, dass Kiew die gewünschte Ausstattung für eine Frühjahrsoffensive erhalten wird. 300 Kampfpanzer sind ein gewaltiger "Wumms" – das entspricht sechs bis sieben Brigaden nach Nato-Standard. Angesichts der starken Bedeutung der Infanterie im Ukrainekrieg eher mehr.
Krieg in der Ukraine: Der "good case"
Und wozu wird das führen? Zunächst den guten Verlauf. Die Dinge laufen so, wie wir das im Westen wünschen. Dann blutet die russische Armee in der jetzigen Offensive aus. Geringfügigen Geländegewinnen stehen erhebliche Verluste gegenüber. Kiew muss ein paar Städtchen aufgeben, doch sowohl die reguläre Armee wie auch die Wagnerianer verlieren ihre letzten Profi-Soldaten und das dazugehörige Gerät. Die ukrainischen Streitkräfte geraten in Bedrängnis, doch ein echter Durchbruch gelingt den Russen nicht. Mit dem Winter geht auch Putins Armee dahin. Sie besteht danach nur aus kaum eingewiesenen Wehrpflichtigen, die mit Uralt-Panzern ausgestattet werden.
Gegen diesen ausgebrannten Rest kann Kiew dann mehrere bestens ausgestattete Korps führen. Russlands Niederlage wäre programmiert, die Befreiung der Krim ein Kinderspiel, wie ehemalige West-Generäle schon frohlocken. Ein Sturz Putins wäre unausweichlich und ein Frieden zu Kiews Bedingungen auch.
Welches Land liefert welche Waffen in die Ukraine?

Der schlechtere Ausgang
Doch was, wenn diese Vision ein Trugbild ist? Mit der Lieferung von Kampfpanzern und demnächst wohl auch von Kampfjets geht der Westen "all in". Dann gibt es nichts, womit der Westen die Ukraine nicht unterstützt – außer mit dem Einsatz eigener Truppen. Und selbst dieses Nein wird durch die zahlreichen Freiwilligen-Formationen unterlaufen. Kiew bekommt Munition und Geheimdienstinformationen, Daten über mögliche Ziele, freiwillige Kämpfer, Lkws, Kettenfahrzeuge jeder Art, Artillerie, Panzerabwehrraketen, Luftabwehrsysteme – die Liste ließe sich endlos fortführen.
Auch ohne den offiziellen Kriegszustand legt der Westen sein ganzes Gewicht in diese Auseinandersetzung. Ein Sieg Kiews wäre "unser" Sieg, eine Niederlage dann aber "unsere" Niederlage.
Was aber, wenn Russlands Verluste die Ukraine doch nicht um ein Vielfaches übersteigen. Sondern die Verluste an Menschen in etwa ausgeglichen sind, wie der US-Generalstabschef Mark Milley annimmt.
Im Kleinen sieht man, dass manche Prognosen zu optimistisch sind. Beim Rückzug aus Cherson wurde prophezeit, dass Tausende Soldaten zurückbleiben und in Gefangenschaft geraten werden. Im Ergebnis wurden nur vereinzelte Gefangene gemacht. Der Fall von Soledar wurde mit der Botschaft verkauft, dass die eingesetzten Wagner-Kräfte praktisch aufgerieben seien und die Gruppe angesichts der Verluste auf Monate nicht in Erscheinung treten würde. Tatsächlich drückten die angeblich toten Wagnersöldner Kiews Truppen wenige Wochen später aus vielen Ortschaften und drohen nun auch Bachmut einzukreisen.
Wer hält länger durch
Geht man von etwa gleichmäßigen Verlusten beider Seiten aus, ändert sich das Bild gewaltig. Trotz aller Verluste kann Russland aus dem eigenen Land weiterhin schweres Gerät wie Panzer und Artillerie zuführen. Das Potential der aktiven Panzer liegt noch bei Tausenden. Gleichzeitig werden im Drei-Schichten-Betrieb stillgelegte Panzer aus den Magazinen aufgearbeitet. Von daher ist es kaum anzunehmen, dass Putins Truppen demnächst nur noch mit 50er Jahre Gerät ausgerüstet werden. Im Gegenteil, es ist zu erwarten, dass es zu einer nächsten Mobilisierungswelle von 300.000 kommt und das Zahlenverhältnis an der Front kippt. Moskau dann an zentralen Abschnitten mehr Männer als die Ukraine einsetzen kann. Das ist ein unschätzbarer Vorteil, denn die etwa 1000 Kilometer lange Front besteht derzeit zu einem großen Teil aus kaum bemannten Lücken.
All das dient nur der Vorbereitung einer großen Winteroffensive, die etwa zum Jahrestag des Überfalls, also Ende Februar erwartet wird. Das Kalkül des Westens beruht darauf, dass diese Anstrengung zu keinen entscheidenden Geländegewinnen führen wird, wohl aber zu erheblichen russischen Verlusten. Ob diese Annahme zutrifft, wird man Mitte März erkennen.
Gleichzeitig graben sich die Russen in Erwartung der ukrainischen Offensive ein. Dann werden sie in der Verteidigung des besetzten Gebietes die gleichen Vorteile genießen wie derzeit die Ukrainer, die die Dörfer und Städtchen des Donbass in untertunnelte Festungen verwandelt haben. Ein kühner Durchstoß wie im Herbst östlich von Charkiw dürfte jetzt schon nicht mehr möglich sein.
Angenommen, die Abfolge von zuerst einer missglückten russischen Offensive und einer erfolgreichen ukrainischen tritt so nicht ein. Und Putins Truppen überstehen den Ansturm im Frühjahr ohne substanzielle Geländeverluste, wird die Situation eng. Kiew kann ein blutiges Patt schlechter ertragen als Moskau. Der Westen hat dann – im Wesentlichen – alles gegeben, was er kann, außer sich mit eigenen Truppen in offenen Kriegshandlungen zu beteiligen. Dem Westen wird es danach schwerer fallen diesen Ermüdungskrieg immer weiter mit Geld und Material zu füttern und Kiew wird nicht stets neue Truppen ausheben können.
In diesem Frühjahr wird der Krieg entschieden, auch wenn die Kampfhandlungen sich noch fortsetzen.