Der Militärexperte Carlo Masala hat vor einer weiteren Eskalation des Ukraine-Krieges durch den Einsatz einer "schmutzigen Bombe" gewarnt, die radioaktives Material freisetzt. Masala sagte am Dienstag in Episode #69 des stern-Podcast "Ukraine – die Lage", zunächst gehe es der russischen Führung darum, Verwirrung und Chaos zu stiften. Dies sah er als Grund für den russischen Vorwurf an die Ukraine, mit einem konventionellen Sprengsatz radioaktives Material verbreiten zu wollen. Russland könne aber auch selbst zu einer solchen Waffe greifen, um dies dann den Ukrainern anzulasten und so einen Grund für eine Verschärfung des Konflikts zu schaffen. "Es wäre ein guter Vorwand, um den Staudamm zu sprengen und Cherson zu fluten", sagte der Politikprofessor der Bundeswehruniversität München. Die Zerstörung des gigantischen Damms von Kachowka würde auch die Kühlwasserversorgung des Atomkraftwerks Saporischschja unterbrechen.
Deportation statt Evakuierung von Cherson
Masala beschrieb die Lage in der Großstadt Cherson als unübersichtlich, so sei nicht klar, wie gut die russischen Kräfte in der Stadt ausgebildet und ausgerüstet seien. Die Evakuierung von Zivilisten wertete er als Deportation und nicht als humanitäre Maßnahme. Auf das von russischen Truppen kontrollierte Cherson wird eine ukrainische Offensive erwartet. "Es würde in die Strategie der russischen Kriegsführung passen, in dem Moment, in dem die Stadt aus russischer Perspektive nicht mehr zu halten ist, sie dem Erdboden gleich zu machen", warnte Masala.

Dr. Carlo Masala ist Professor für Internationale Politik an der Bundeswehruniversität München.
Falls in der Ukraine eine "schmutzige Bombe" eingesetzt werde, erwartet Masala eine schwierige Suche nach den Verantwortlichen. "Es würde lange dauern, bis man harte Beweise hat", sagte er. Dem Westen werde so eine unmittelbare Reaktion auf eine russische Eskalation erschwert. Hierin sah er ein Muster des russischen Vorgehens. "Alles bleibt unterhalb der Schwelle, die eine eindeutige und sofortige Reaktion von Nato-Staaten nach sich ziehen würde", sagte er.
"Schmutzige Bombe" in der Ukraine als Signal
Der Einsatz von radioaktivem Material mit einer "schmutzigen Bombe" wäre "das Signal der russischen Föderation, dass man bereit ist, das nukleare Tabu zu brechen". Damit würde eine neue Situation entstehen. Masala verwies aber darauf, dass Drohgebärden seit Kriegsbeginn eingesetzt würden. In diesem Zusammenhang sah er auch die Anrufe von russischen Führungsmitgliedern in westlichen Hauptstädten. Mit den Warnungen vor einer Eskalation wolle die russische Führung den Westen dazu bewegen, auf die Ukraine einzuwirken, dass sie Zugeständnisse macht.