Der Sicherheitsexperte Christian Mölling hat Russland vorgeworfen, immer mehr Soldaten zu opfern, um die Defizite der eigenen Streitkräfte auszugleichen. Mölling sagt am Freitag im stern-Podcast "Ukraine – die Lage": "Russland hat im Moment keine Möglichkeit, die Qualität seiner Angriffe an der Front zu steigern." Darauf reagiere es mit dem Einsatz von immer mehr Menschen; dies sei eine "perverse, industrielle Kriegführung" – also eine Art der Kriegführung, in der Menschen zu maschinengleichen Werkzeugen werden.
"Wie andere Granaten schmeißen, schmeißt Russland offensichtlich Menschen an die Front", sagt der Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Er habe aber Zweifel daran, dass dieses Vorgehen zum Erfolg führe. "Ob das gesellschaftlich aufgeht, dahinter kann man ein Fragezeichen machen", sagt er. Er wisse nicht, ob es in der russischen Gesellschaft die Bereitschaft gebe, "spendabler mit Menschenleben zu sein". Mölling erinnert an den Unmut über die Teilmobilmachung im vergangenen Jahr. Den erwartet er auch bei einem neuen Anlauf zur Rekrutierung von Hunderttausenden Soldaten: "Ich stelle es mir schwierig vor."
Geht nicht um Geländegewinne
Die Ukraine nutzt nach Einschätzung des Experten die erbitterten Kämpfe um die Stadt Soledar in der Region Bachmut, "um den Russen massive Verluste zuzufügen". Zugleich spekulierten die Ukrainer darauf, dass ihre Gegner "zumindest nicht offensivfähig werden", weil sie so gebunden seien in und um Bachmut. Die in russischen Diensten stehende Söldnertruppe Wagner habe sich andererseits darauf festgelegt, Soledar einzunehmen. Sie könne dieses Ziel kaum aufgeben. Mölling macht deutlich, dass die Kontrolle der Stadt aber nicht das eigentliche Ziel Russlands sei. "Es geht hier nicht um Geländegewinne, sondern es geht darum, politisch-ideologische Dinge durchzusetzen, die haben mit Territorium gar nicht so viel zu tun." Letztlich verfolge Russland das Ziel, die Ukraine zu zerstören und als politischen Akteur auszuschalten.
Panzer-Entscheidung "unausweichlich"
Mölling sagt, dass der Besitz westlicher Kampfpanzer in nennenswerter Zahl eine Konzentration der Russen auf die Region Bachmut erschweren würde, denn die Waffen wären "eine Bedrohung für den Frontverlauf, auf den sich Russland einstellen müsste". Eine Entscheidung der Bundesregierung zur Lieferung von Leopard-Panzern scheint Mölling "auf lange Sicht unausweichlich". Er beklagt einen "massiven Schaden" für die Glaubwürdigkeit der Bundesregierung, der dazu führen werde, dass sich viele künftig fragen: "Sind die Deutschen wirklich ein solider Partner?"