Hillary Clinton ist sich sicher: Ihre schwarze Hose und die hellgraue Jacke sind die richtige Schutzkleidung für die nun startende Fernsehdebatte. "Alles reinstes Asbest", sagt sie und verzieht dabei keine Miene. Sie sei bestens vorbereitet, sollte jemand versuchen, sie "unter Feuer" zu nehmen.
Der Witz ist angekommen, das Publikum lacht und jubelt. Kaum hat der Schlagabtausch der sieben demokratischen Präsidentschaftsbewerber begonnen, liegt Hillary vorn. Gleich mit ihrem Eröffnungsstatement hat sie die Herzen der meisten der 1000 Zuschauer auf dem Campus der Universität von Las Vegas gewonnen. Und die von Millionen Fernsehkonsumenten dazu.
Wie hat sich diese Frau nur verändert. In den 90er-Jahren hielten die meisten US-Bürger ihre First Lady für eine spröde Streberin. Jetzt aber ist Hillary Rodham Clinton Präsidentschaftskandidatin - und schlagfertig, selbstironisch wie nie zuvor. Dabei steht sie unter Dauerbeschuss. Sie wird von ihren demokratischen Konkurrenten attackiert, die es nicht geschafft haben, mit ihren eigenen Programmen zu punkten. Und sie wird von den republikanischen Bewerbern angegriffen, die schon jetzt ihren Wahlkampf voll auf die Person von Hillary Clinton ausrichten, obwohl sie noch gar nicht für das eigentliche Duell im November 2008 nominiert wurde. Doch je heftiger die Attacken von links und rechts werden, desto entspannter wirkt sie: Ihr scheint die politische Mitte zu gehören.
Andere sehen wie Statisten aus
Hillary ist zur zentralen Figur des US-Wahlkampfs geworden. Wo immer die New Yorker Senatorin auch auftaucht, sofort richten sich alle Kameras auf sie. Sie ist der Star unter allen Kandidaten, der Maßstab, an dem sich alle messen müssen - und dabei meist nur wie Statisten aussehen. Clinton strahlt Kompetenz und Autorität aus. Sie ist die "fähigste Politikerin in Amerika", lobt sogar der republikanische Politstratege Dick Armey, der die Clintons in den 90er-Jahren heftig bekämpfte.
In 46 Tagen stehen im Bundesstaat Iowa die ersten Vorwahlen an, bei denen die Demokraten ihren Präsidentschaftsbewerber küren. Spätestens am "Superdienstag" Anfang Februar, an dem in 23 Staaten zugleich Vorwahlen stattfinden, wird sich zeigen, wen die Partei ins Rennen um das höchste Amt schickt. Eines ist aber schon heute klar: Wer die Nominierung will, muss an Hillary Clinton vorbei. Sie führt die Umfragen in allen 50 Bundesstaaten an - im Durchschnitt mit mehr als 20 Prozentpunkten Vorsprung auf Barack Obama, den afroamerikanischen Senator aus Illinois, der einst als Wunderkind der US-Politik gefeiert wurde. Und auch beim Spendensammeln liegt sie ganz deutlich vorn - mit mehr als 90 Millionen Dollar Wahlkampfeinnahmen.
Profitieren von der Obama-Euphorie
Mag sein, dass niemand mehr Leute auf die Straßen bringt als der junge, charismatische Obama. Zehntausende feiern ihn bei Kundgebungen, lassen sich von seinen Reden mitreißen. Auch wie zuletzt in Las Vegas säumen vor allem Obama-Anhänger die Zufahrtstraßen zu der Universitätssporthalle, die CNN in ein perfektes Debattenstudio umfunktioniert hat.
Doch am Ende scheint Hillary Clinton von der Euphorie zu profitieren, die Obama ausgelöst hat. Sie hat es geschafft, sich als Kandidatin des Zentrums zu positionieren. Mit einem früh lancierten, sorgfältig ausbalancierten Programm, an dem keiner ihrer Mitbewerber vorbeikommt.
Mal ist sie konservativ, mal liberal. Immer wieder betont sie, dass sie die Sicherheit Amerikas als oberste Priorität des Präsidenten betrachtet, und punktet so bei den konservativen Wählern. Zugleich aber verteidigt sie das Recht der Frau auf Abtreibung, das kommt bei liberalen Wählerinnen gut an. Sie will eine Reform des Einwanderungsrechts, um den Millionen illegalen Emigranten im Land eine Perspektive zu geben. Gleichzeitig aber tritt sie hart für die Sicherung der Grenze zu Mexiko ein. Sie will die US-Truppen aus dem Irak holen, aber nur in "sinnvoller Abstimmung" mit der Militärführung und den Verbündeten. Sie will den Wechsel in Washington, "weil Amerika etwas Besseres verdient hat". Doch "Wechsel ist nur ein Wort, wenn man nicht die Kraft und Erfahrung hat, ihn möglich zu machen", stichelt sie gegen Obama. Sie selbst hat beides, davon ist sie felsenfest überzeugt.
Kraft und Erfahrung
In Las Vegas spielt sie ihre Mitstreiter mit dieser Karte gleich an die Wand. "Die Amerikaner wissen, wo ich seit 35 Jahren stehe", sagt sie ruhig. "Das Land braucht einen Präsidenten mit Erfahrung, der vom ersten Tag an fähig ist, die Führung zu übernehmen."
Das bringt ihre Konkurrenten in die Defensive. Statt sein eigenes Programm vorzustellen, greift Obama sie reflexartig an. "Die Amerikaner wollen klare Antworten auf schwierige Fragen", sagt er. Clinton könne diese nicht geben. John Edwards, der linkspopulistische Senator aus North Carolina, sekundiert: "Sie unterstützt das korrupte und kompromittierte System in Washington."
Kontern auf der Sachebene
Hillary bleibt gelassen. Sie kontert zunächst auf der Sachebene, wirft Obama unausgereifte Vorschläge zur Gesundheitsreform vor, prangert Edwards an, weil er bei seinem Präsidentschaftswahlkampf 2004 gegen eine allgemeine Krankenversicherung plädierte. Und dann holt sie zum entscheidenden Schlag aus: Sie mahnt ihre Kontrahenten, "keine Schlammschlachten nach republikanischem Drehbuch" zu führen, sondern sich auf die wirklichen Probleme das Landes zu konzentrieren.
Das sitzt. Schlagartig dreht sich die Stimmung gegen die Angreifer. Edwards und Obama werden ausgebuht, als sie ihre Kritik fortsetzen wollen. Andere Kandidaten im Podium schlagen sich auf Hillarys Seite, fordern Geschlossenheit der Partei im Kampf gegen die Republikaner. "Obama ist heute nicht so überzeugend wie sonst", sagt Jake Zockoll. Der Student ist aus Utah angereist, um seinen Favoriten anzufeuern. Nun ist er tief enttäuscht.
Wie ein Boxer
Denn Clinton verliert keinen Augenblick die Fassung. Sie ist wie ein Boxer, der seinen Gegner auf Distanz konsequent auspunktet. Ihre Schläge sitzen. "Ich weiß, dass sie mich nicht attackieren, weil ich eine Frau bin", sagt sie selbstbewusst. "Sondern weil ich vorn liege."
Die Tingelei macht sich bezahlt. Seit sie im Februar ihre Kandidatur bekannt gab, reist Hillary quer durchs Land. Sie trifft demokratische Wähler in der Provinz und füllt Kongresszentren an der Ostküste. Sie besucht verarmte Latinoschulen und Eliteuniversitäten. Sie diskutiert mit Bedürftigen und Intellektuellen. Immer wieder erzählt sie von ihrer Kindheit in einem Vorort von Chicago: von ihrem strengen Vater, der sie antrieb, von ihrer Mutter, die ihre eigene Karriere hintanstellte. Menschliche Nähe schaffen, das ist ihr Ziel. "Ich bin eine von euch", lautet die Botschaft. Bodenständig und zuverlässig.
Musterbeispiel hierfür soll ihre Gesundheitspolitik sein. Früher wollte sie alle US-Bürger in ein staatliches System zwingen; fortan galt sie als Linke. Heute gibt sie sich kompromissbereit. Die Privatversicherten sollen ihrer Kasse treu bleiben dürfen; die Schwächsten, die keine Versicherung haben, sollen die Möglichkeit bekommen, dem staatlichen System beizutreten. Das bringt Punkte bei allen Wählerschichten.