US-Wahl Verordnete Zurückhaltung

Aus Erfahrung wird man klug. Das gilt offenbar auch für die ansonsten forschen US-Medien. Nach dem Fiasko bei den letzten Wahlen herrschte diesmal Vorsicht bei der Verkündung des Wahlsiegers.

Eine neue Zurückhaltung hat im amerikanischen Fernsehen Einzug gehalten. Während sich die TV-Sender in früheren Wahlnächten ein hektisches Wettrennen um den Zuschlag eines US-Staates auf die Seite der Republikaner oder Demokraten lieferten, war diesmal vorsichtiges Abwarten angesagt.

Aus Fehlern gelernt

Das Fiasko in Florida bei der Präsidentschaftswahl 2000 veränderte alles. Vor vier Jahren riefen alle Stationen zwei Mal verfrüht einen Gewinner in Florida aus und kürten damit Wochen vor der endgültigen Klärung Präsident George W. Bush zum Sieger. Die Medien wurden damals heftig kritisiert.

Diesmal trat nur der Bush-treue Sender Fox News Channel recht forsch auf: Er war der erste, der Bush schon um 0.41 Uhr Ortszeit zum Sieger im umkämpften "Swing State" Ohio erklärte. Kurz darauf meldete Fox, dass Bush landesweit mit 269 der Wahlmännerstimmen mindestens ein Remis herausgeschlagen habe. NBC schloss sich Fox um 1 Uhr teilweise an und rief Bush in Ohio als Gewinner aus.

Auf Nummer sicher

Noch Stunden später listeten dagegen die Konkurrenten ABC, CBS, CNN und auch die Nachrichtenagentur AP den letztlich entscheidenden Staat Ohio im Lager der bislang nicht entschiedenen Staaten, obwohl sie auf die gleichen Daten wie Fox und NBC zurückgriffen. "Wenn wir nicht die Erfahrung des Jahres 2000 gemacht hätten, hätten wir wahrscheinlich Ohio Bush zugeschlagen", sagte Politik-Experte Jeff Greenfield von CNN. "Wegen der geringen Differenz und aufgrund der Frage der provisorischen Stimmen, fühlen wir bei CNN uns nicht wohl dabei, diese Aussage zu treffen", sagte die CNN-Journalistin Judy Woodruff.

Die Rivalen warteten diesmal außerdem fast 30 Minuten, bis sie CBS darin folgten, Virginia und North Carolina Bush zuzuschlagen. CNN, CBS ABC und AP listeten Nevada nach 3 Uhr im Bush-Lager; diesmal hielten sich NBC und Fox zurück. Denn nach den Projektionen beider Sender hatte Bush die Wahl schon gewonnen; sie schienen sich aber zurückzuhalten, da Senator John Kerry sich nicht geschlagen gab und Bush nicht ausdrücklich seinen Sieg ausrief. Noch Stunden nach Auszählung der meisten Urnen hatte keines der US-Medien einen Sieger ausgerufen.

Das ungewöhnliche Vorgehen der Sender wurde auch in Washington aufmerksam registriert. ABC-Korrespondent Terry Moran sagte, das Weiße Haus schien irritiert, der Präsident und sein Team warteten darauf, dass ihn das Fernsehen zum Sieger erkläre.

Dem medialen Gruppenzwang entgingen die Sender diesmal: NBC setzte seine Experten, die über Gewinner oder Verlierer entschieden, in einen Raum ohne Fernsehgeräte. Bei Fox mussten die vier Analysten des Senders erst einer Meinung sein, bevor ein Staat der einen oder anderen Seite zugeschlagen wurde. CBS zeigte sich sogar in der Wortwahl vorsichtig und vermied die Aussage, es werde ein "Gewinner" oder ein "Verlierer" in einem Staat erklärt. Stattdessen gab der Fernsehsender nur eine "Schätzung" über einen Gewinner ab.

"Exit Polls" irreführend

Tatsächlich gab es auch diesmal wieder allen Grund zur Vorsicht, denn die "Exit Polls" - also die Befragung der Wähler vor den Wahllokalen unmittelbar nach der Stimmabgabe - führte viele auf eine falsche Fährte. Demnach schnitt Kerry weit besser ab, als es tatsächlich der Fall war. Die Fernsehsender würden sehr genau untersuchen, warum die Nachwahlumfragen einen so großen Vorsprung für die Demokraten ermittelten, kündigte Bill Wheatley an, der Vizepräsident von NBC News.

Noch bevor die Wahllokale geschlossen waren, zirkulierten schon die ersten "Exit Polls" im Internet - sie beeinflussten das Fernsehen und vielleicht auch viele Wähler. Jim Pinkerton, Analyst bei Fox News Channel, sagte in der Nacht: "Ich glaube, es sieht gut aus für zornige Demokraten." Später unterhielten sich die Experten auf Fox offen über die tatsächlichen Ergebnisse, die den Umfragen widersprachen. Expertin Susan Estrich sagte: "Entweder die "Exit Polls" sind völlig falsch, oder Bush verliert."

AP
David Bauer/AP