Herr Conrad, die palästinensische Terrororganisation Hamas hält derzeit rund 240 Geiseln gefangen, Israel will sie befreien. Sie haben schon selbst mit der Hamas um Leben und Freiheit einer Geisel gerungen. Wie beurteilen Sie die heutige Lage?
Sie hat eine völlig neue Dimension. Sie ist in keiner Weise vergleichbar mit der in den 2000er-Jahren, als ich mit der Hamas über die Freilassung des verschleppten Soldaten Gilad Schalit verhandelt habe. Am 7. Oktober hat die Hamas eine militärische Operation quasi im Brigadeformat durchgeführt. Sie hat an etlichen Stellen die Grenzbefestigungen durchbrochen und sich in kürzester Zeit auf festgelegte Ziele verteilt: auf 24 Ortschaften und Kibbuzim, dazu ein Rave-Festival.

Die Hamas hat vor allem Zivilisten angegriffen. Was könnte der Grund sein?
In den letzten Jahren gab es offenbar einen Sinneswandel bei der Hamas, hin zu einem präzedenzlosen groß angelegten Terrorangriff mit "shock and awe", mit Schrecken und Furcht. Offenbar um dem Konflikt eine neue Dynamik zu geben. Attacken auf Zivilisten gehören bewusst dazu. Dahinter steckt unter anderem ein Mann namens Jahja Sinwar. Er war ursprünglich Hamas-Geheimdienstler und zuständig für interne Säuberungen. Er hat 22 Jahre in Israel im Knast gesessen. Nach seiner Freilassung 2011 im Austausch gegen Gilad Schalit wurde er 2017 Führer der Hamas in Gaza.
Die Hamas will ihre Geiseln in Verhandlungen als Druckmittel einsetzen. Aber wird sie in der Lage sein, sie während der israelischen Bombardements zu schützen?
Der Untergrund in Gaza ist ausgehöhlt wie ein Schweizer Käse. Es gibt teilweise zwei oder sogar drei übereinanderliegende Tunnel in verschiedene Richtungen. Man kann es dort eine Weile aushalten und ist weitgehend geschützt. Oberirdisch wäre das nicht möglich.