Very British Kuriose Traditionen bei "Queen's Speech"

Zum 55. Mal hat Queen Elizabeth II. im britischen Oberhaus das Regierungsprogramm verlesen. Was sich nach einer politischen Veranstaltung anhört, ist eine seit Jahrhunderten mit skurrilen Ritualen gespickte Zeremonie. Dass die Königin zu diesem Anlass eine Geisel nimmt, ist dabei nur der Anfang.

Niemand inszeniert Prunk und Pomp so schön wie die Briten. Und an keinem Tag im Jahr wird britische Geschichte mit so kuriosen Traditionen gefeiert wie bei der "Queen's Speech", der Eröffnungsrede der Monarchin im Oberhaus vor versammelter Mannschaft der Lords, Ladies und der Abgeordneten aus dem Unterhaus.

Und wie jedes Jahr seit ihrer Krönung 1952 begann auch dieser Tag der großen Rede damit, dass die Königin sich eine Geisel nahm. Der Fraktionsvorsitzende der Regierungspartei wird im Buckinghampalast festgehalten, während Queen Elizabeth II sich in die goldverzierte Kutsche begibt. Heute ist anzunehmen, dass er im Palast mit Tee und Gebäck und vielen warmen Worten versorgt wird, während er auf die Rückkehr der Königin wartet. Im 17. Jahrhundert jedoch war der Politiker ein wichtiges Unterpfand für den Monarchen.

Keller wird mit Fackeln durchsucht

Damals war das Verhältnis zwischen Parlament und Palast äußerst angespannt. James I. wäre 1605 beinahe bei seiner Parlaments-Rede von einem Terroristen namens Guy Fawkes in die Luft gesprengt worden. Noch heute sucht, nach alter Tradition, die älteste königliche Leibgarde mit Fackeln in den Kellern nach verdächtigen Fässern, in denen damals Fawkes Schwarzpulver lagerte und die eben gerade noch entdeckt wurden, bevor sie das Parlament und damit den König zerrissen hätten.

Auf dem kurzen Weg vom Buckingham Palast bis zum Parlament reitet der Queen eine Kutsche voraus, in der die Krone, das Staatsschwert und ein Samthut aus dem Tower of London transportiert werden, die Regalien ihrer Macht. Nach der Ankunft am Victoria-Turm des Oberhauses, entschwindet Queen Elizabeth an der Hand ihres Ehemannes in ihr Ankleidezimmer, wo ihr die schwere Krone aufgesetzt und eine meterlange, purpurrote Schleppe umgehangen werden. Vier Knaben tragen das schwere rote Tuch mit Pelzbesatz hinter ihr her.

Same procedure as every year

Sobald sich die Königin auf ihren Thron im Oberhaus gesetzt hat, wird der Black Rod losgeschickt, der Botschafter der Königin, ausgestattet mit einem langen, schwarzen Knüppel mit Goldbeschlag. Er soll die Parlamentarier in das Sitzungszimmer der Lords und Ladies rufen und ihm wird, nach alter Tradition, erst einmal die Tür des Sitzungszimmers vor der Nase zugeschlagen.

Dies geht zurück auf das Jahr 1642, als König Charles I. ins Unterhaus stürmte, um fünf Parlamentarier verhaften zu lassen. Sieben Jahre später wurde dem König selber der Prozess gemacht, er wurde geköpft und für immer ging die Macht über vom Monarchen auf das Unterhaus. So machen sich Premierminister, das Kabinett und die Opposition auch erst auf den Weg, als der Black Rod sie ehrerbietig mit ordentlicher Verbeugung fragt, ob sie freundlicherweise dem Befehl der Königin folgen würden und ins Oberhaus kommen könnten.

Köngliche Langeweile

Dort stehen sie dann alle am gegenüberliegenden Ende des Raumes und hören Queen Elizabeth II. zu. Sie ist berüchtigt für den absolut monotonen Ton ihres Vortrages. Die Worte werden ihr von der Regierung vorgegeben, die darin ihr Programm für das nächste Jahr auslegen. Die Monotonie, sagen einige, zeige die Neutralität der Monarchie und sei notwendig. Andere glauben, dass sich die Queen schon seit Jahren königlich langweilen muss: Sie hat das Theater schon 55mal hinter sich gebracht und verpasste es nur zweimal in ihrer langen Regentschaft als sie 1959 und 1963 mit den Prinzen Andrew und Edward schwanger ging.

Gerade in diesem Jahr scheint die Rede der Königin besonders sinnlos. So bedauert der Kolumnist Simon Heffer "unsere geliebte Queen": "Denkt doch nur, welch angenehmere und konstruktivere Dinge diese liebe alte Dame in ihrem 84. Jahr anstelle dessen tun könnte." Heffers Kritik ist berechtigt: Spätestens in sechs Monaten wird gewählt, egal, was die Regierung nun noch für tolle Ideen hat - als Gesetz wird sie diese in der kurzen Zeit kaum verabschieden können.

Queen verliest "die letzten Zuckungen" der Partei

Und so ist die Rede auch kein Programm, sondern eine Kampfansage des britischen Premiers Brown, der zuletzt wie ein angezählter Boxer in seiner letzten Kampfrunde wirkte. Als wolle er es nicht nur der Opposition, sondern gleich seinem ganzen Land zeigen, dass er es noch drauf habe, ließ er die Queen einen Katalog von Maßnahmen verkünden, die einem auf Lebenszeit gewählten Präsidenten würdig gewesen wären: eine Pflegeversicherung für alle, Gesetze gegen überbordende Boni und Eskapaden in der Finanzindustrie, Stärkung der Rechte für Zeitarbeiter, Schutz gegen Überflutungen, Hochgeschwindigkeitszüge nach Schottland, die Halbierung des staatlichen Defizits, Frieden im Afghanistan, dem Mittleren Osten und Irak, Abwehr der atomaren Gefahr aus Iran und Nordkorea, Gesetze gegen Klimawandel und so weiter. "Meine Regierung verpflichtet sich zu garantieren, dass jeder eine faire Chance im Leben hat", sagte die Queen.

Die Opposition sagt, es seien die letzten Zuckungen einer Partei, die das Ende vor sich sehe. Während die Queen in ihrer güldenen Kutsche wieder gen Buckingham Palace entschwand, und der Union Jack die königliche Standarte über dem Parlament ersetzte, schritt der britische Premier zurück ins Unterhaus und lächelte in die Kameras, als würde sein Leben davon abhängen.

Seine Partei wird heute Abend ein erstes Wahlvideo ausstrahlen lassen. Es handelt vom Kampf der Arbeiterpartei Labour um Fortschritt, um Arbeiterrechte, Frauenwahlrecht, den Sieg über die Apartheid. Der Kampf um die Macht, sagt das Video, hat begonnen.