Fried – Blick aus Berlin Schwarz-roter Dauerknatsch: So wird's doch noch was mit den Reformen

Illustration Nico Fried und SPD-Abgeordnete Claudia Moll
© stern-Montage: Fotos: Patrick Slesiona/stern; Adobe Stock / Getty Images
Die schwarz-rote Koalition hat einen schlechten Ruf. Dachte auch unser Kolumnist. Dann hörte er im Bundestag die Rede von Claudia Moll.

Neulich bin ich durch den Bundestag spaziert. In Sitzungswochen lohnt sich das, weil man hie und da Politiker trifft, Kontakte pflegen, Neuigkeiten sammeln oder einfach Schwätzchen halten kann. Nach einiger Zeit habe ich mich auf die Pressetribüne im Plenarsaal gesetzt, um – so ein Reporterleben ist anstrengend – vor dem Mittagessen noch ein bisschen auszuruhen. Da geschah etwas wirklich Überraschendes.

Um 12.09 Uhr an jenem 6. November trat die SPD-Abgeordnete Claudia Moll ans Rednerpult, um über das Gesetz zur Entbürokratisierung von Pflegeberufen zu sprechen. Das war natürlich keine Überraschung, im Gegenteil: Niemand im Parlament erscheint berufener zu diesem Thema als Frau Moll. Sie hat fast 28 Jahre lang als Pflegerin gearbeitet. Dann ärgerte sie der Pflegenotstand so sehr, dass sie sich 2017 um ein Bundestagsmandat bewarb und gewählt wurde.

Claudia Moll ist das, was man ein Original nennt, eine Type, eine sozialdemokratische Abgeordnete, wie es nicht mehr allzu viele gibt. Als mein Kollege Veit Medick vor einigen Jahren noch für ein nicht ganz so bedeutendes Magazin wie den stern arbeitete, beschrieb er mal, wie sich Frau Moll über den akademisierten Bundestag und das wissenschaftliche Gerede ihrer eigenen Fraktion mit dem prägnanten Satz wunderte: "Liebe Leute, wir brauchen auch Menschen, die die Unis bauen und die Scheißhäuser in den Unis reparieren."

Diese Frau hatte jetzt also das Wort. Claudia Moll fürchtet keine politische Rauferei. Nachdem sie einmal im Plenum gerufen hatte, wie sehr sie sich für die AfD im Parlament schäme, benötigte sie zeitweise Polizeischutz. An diesem 6. November aber begann die Sozialdemokratin ihre Rede zum Pflegegesetz mit so freundlichen Worten, dass es sie in voller Länge zu zitieren in diesen politisch trüben Tagen wirklich lohnt: "Zunächst möchte ich mich ganz ausdrücklich bei meinen Kolleginnen von der CDU und der CSU – bei Frau Borchardt, Frau Zeulner und Frau Janssen – sowie beim Parlamentarischen Staatssekretär Herrn Dr. Kippels für die wirklich tolle und kollegiale Zusammenarbeit bedanken. Das war echte Teamarbeit!"

Können Sie sich das vorstellen? Eine Sozialdemokratin bedankt sich bei ihren Koalitionspartnern von der Union. Wann haben wir das in dieser Aufrichtigkeit, ja Überschwänglichkeit zuletzt gehört?

Danach schilderte Frau Moll die Vorzüge des neuen Gesetzes. Bei den gemeinschaftlichen Wohnformen gestand sie, eigentlich gegen eine neue Regelung gewesen zu sein. Aber sie wolle "Innovationen für die Zukunft nicht entgegenstehen". Gelebte Kompromissfähigkeit, so wichtig. Als Claudia Moll fertig war, rief der Abgeordnete Albert Stegemann: "Schöne Rede!" Der ist von der CDU. So viel Liebe.

Claudia Moll, bitte in den Koalitionsausschuss

In diesem Moment dachte ich: Vielleicht ist diese schwarz-rote Koalition besser als ihr Ruf. Klar, die an der Spitze behaupten das sowieso gerne von sich, gutes Verhältnis, konstruktiv usw. Aber das Bürgergeldgesetz, über das Friedrich Merz und Bärbel Bas schon persönlich verhandelt haben, dreht trotzdem die fünfte Runde. Die Pflegebürokratie hingegen, die haben sich Frau Moll und ihre Kollegen vorgeknöpft, Motto: Einfach mal machen.

Dieser Tage ist wieder Koalitionsausschuss. Merz, Klingbeil, Bas, Söder, ach du je. Schwierige Entscheidungen. Mein Vorschlag, wenn sich nach einigen Stunden wieder alles verkantet hat: Holen Sie Frau Moll dazu. Um der Sache willen. 

PRODUKTE & TIPPS

Kaufkosmos