Wahlen in Israel Netanjahu nach Rechtsruck vor Comeback – aber erst ein Drittel der Stimmen sind ausgezählt

Netanjahu in Israel vor Comeback – rechtes Lager in Prognosen vorn
Jerusalem: Der Vorsitzende der Likud-Partei und ehemalige israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu gibt neben seiner Frau Sara Netanjahu eine Erklärung ab, nach der Auszählung der israelischen Parlamentswahlen 2022
© Ilia Yefimovich / DPA
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STORY: In Israel steht Ex-Ministerpräsident Benjamin Netanjahu vor der Rückkehr ins Amt an der Regierungsspitze. Nach Prognosen errang sein rechtsgerichtetes Bündnis bei der Parlamentswahl am Dienstag eine knappe Mehrheit. In Nachwahl-Befragungen kam es auf 61 oder 62 Sitze in der 120 Mandate umfassenden Knesset. Das endgültige Wahlergebnis, das erst im Lauf der Woche erwartet wird, kann von den Prognosen abweichen. Eine wichtige Rolle spielt auch die Frage, ob die kleine arabische Partei Balad ins Parlament einziehen kann. Dies hätte einige Auswirkungen auf die Sitzverteilung und könnte Netanjahus Mehrheit gefährden. In einer ersten Stellungnahme sprach Netanjahu von einem "guten Start", mahnte aber, das endgültige Ergebnis abzuwarten. Netanjahu war bereits mehrfach Ministerpräsident und steht wegen Korruptionsvorwürfen vor Gericht. Ein Hinweis auf das Erstarken radikaler Gruppen ist der Erfolg des Ultranationalisten Itamar Ben-Gwir. Seine "Jüdische Macht" kommt der Prognose zufolge auf 15 Mandate, zwei mehr als in Umfragen angenommen. Bereits früher war er wegen rassistischer Hetze verurteilt worden. Der amtierende Ministerpräsident Jair Lapid war Teil eines Anti-Netanjahu-Bündnisses. Im Juni hatte die von ihm geführte bisherige Acht-Parteien-Koalition nach nur zwölf Monaten ihre Mehrheit verloren. Der Wahlkampf war bestimmt von Fragen der nationalen Sicherheit und der auch in Israel spürbaren Inflation. Es war die fünfte Wahl in weniger als vier Jahren in dem tief gespaltenen Land.
Mehr als ein Jahr war er in der Opposition. Nun kann Israels Langzeit-Regierungschef eine Rückkehr ins Amt gelingen - mit Hilfe von rechtsextremen Partnern.

Israels rechtskonservativer Oppositionsführer Benjamin Netanjahu hat nach der Parlamentswahl in Israel gute Chancen auf eine Rückkehr als Regierungschef. Bis Mittwochmorgen waren allerdings erst rund ein Drittel der abgegebenen Stimmen ausgezählt worden. Nach israelischen Medienberichten könnten nach gegenwärtigem Stand kleinere Parteien aus dem Lager des liberalen Regierungschefs Jair Lapid an der 3,25-Prozent-Hürde scheitern. Dies betrifft die linksliberale Meretz-Partei und die konservativ-islamische Raam-Partei. Auch die arabische Balad-Partei könnte den Einzug ins Parlament knapp verpassen. 

Das rechts-religiöse Lager um den 73-jährigen Netanjahu erzielte eine knappe Mehrheit von bis zu 62 der 120 Sitze. Seine Likud-Partei wurde demnach stärkste Kraft mit etwa einem Viertel der Parlamentssitze. Die Zukunftspartei von Lapid kam an zweiter Stelle. Frühere Wahlen haben aber gezeigt, dass sich das Bild bis zur Auszählung aller Stimmen noch verschieben kann. Das Endergebnis wird nicht vor Donnerstag erwartet.

Aufstieg des rechtsextremen Lagers

Auf den dritten Platz schaffte es zum ersten Mal in der Geschichte Israels ein rechtsextremes Bündnis. Die Religiös-Zionistische Partei von Bezalel Smotrich und Itamar Ben-Gvir kommt laut den Prognosen auf 13 bis 14 Sitze und gilt als möglicher Königsmacher. Netanjahu hatte das Bündnis gezielt vermittelt und den Rechtsextremen damit zum Aufstieg verholfen. Eine rechtsreligiöse Regierung könnte ihm durch Gesetzesänderungen dabei helfen, seinem derzeit laufenden Korruptionsprozess zu entkommen.

Der 46-jährige Ben-Gvir wurde in der Vergangenheit wegen rassistischer Hetze verurteilt und spricht sich unter anderem für die Deportation von Arabern aus, "die gegen den Staat Israel sind". Ihm wurde auch immer wieder vorgeworfen, den Konflikt mit den Palästinensern gezielt anzuheizen. Smotrich sagte nach der Wahl, seine Partei habe "Geschichte geschrieben". Er hoffe auf "die Einrichtung einer rechten, jüdischen, zionistischen und nationalen Regierung". Seine Anhänger feierten ihn bereits als "den neuen Verteidigungsminister".

Endgültiger Ausgang noch offen

Netanjahu sagte nach den Prognosen, der Erfolg sei ein "guter Anfang". Der endgültige Ausgang der Wahl werde sich jedoch erst nach Auszählung aller Stimmen zeigen. Die arabische Partei Balad befand sich laut den Prognosen knapp unter der 3,25-Prozent-Hürde. Sollte ihr doch noch der Sprung ins Parlament gelingen, könnte dies Netanjahus Mehrheit gefährden.

Das Anti-Bibi-Lager um Lapid kam den Prognosen zufolge auf 53 bis 54 Sitze. Es umfasst Parteien vom rechten bis zum linken Spektrum und ist vor allem von dem Willen geeint, eine Rückkehr Netanjahus zu verhindern. Es scheint jedoch unwahrscheinlich, dass es Lapid - wie im vergangenen Jahr - gelingt, eine Koalition mit einer Mehrheit zu schmieden. Lapid betonte derweil in der Nacht, dass "nichts vorbei" sei, bevor nicht alle Stimmen ausgezählt seien. Seine Partei werde weiterhin dafür kämpfen, dass Israel ein jüdischer, demokratischer, liberaler und fortschrittlicher Staat sei.

Keine Spur von Wahlmüdigkeit

Bis zum Abend zeichnete sich bei der Wahl eine außergewöhnlich hohe Wahlbeteiligung ab. Nach Angaben des Zentralen Wahlkomitees lag die Beteiligung der 6,8 Millionen Wahlberechtigten bis 21.00 Uhr (MEZ) bei 71,3 Prozent. Das sind fast vier Prozentpunkte mehr als zum gleichen Zeitpunkt bei der letzten Wahl im März vergangenen Jahres. Mit der endgültigen Zahl wird erst heute gerechnet.

Nach Auszählung aller Stimmen bestimmt Präsident Izchak Herzog, wer den Auftrag zur Regierungsbildung erhält. Der Kandidat hat dann vier Wochen Zeit, eine Koalition zu bilden. Wie nach der Wahl im letzten Jahr könnte es Wochen oder Monate dauern, bis eine Regierung steht. Solange bleibt Lapid im Amt. Sollte eine Regierungsbildung scheitern, könnte eine weitere Neuwahl im nächsten Jahr anstehen.

dpa
rös