Einen Tag vor ihrem Abschied aus dem Weißen Haus hat sich Melania Trump in einer Videobotschaft an die US-Bürger gewandt. "Die vergangenen vier Jahre waren unvergesslich", sagte die Ehefrau von Donald Trump in der sechsminütigen Aufzeichnung. "Es ist die größte Ehre meines Lebens gewesen, als First Lady der Vereinigten Staaten von Amerika zu dienen."
Tatsächlich hat die Begeisterung der 50-Jährigen für ihren Dienst als Präsidentengattin aber ihre Grenzen, wie sich im Zuge des Amtswechsels zeigt. Denn eigentlich ist es üblich, dass die scheidende First Lady ihre Nachfolgerin ins Weiße Haus einlädt und durch die privaten Räume des Anwesens führt. Melania Trump hatte darauf aber offenbar keine Lust. Sie hat Joe Bidens Ehefrau Jill bislang weder angerufen noch ihr eine Besichtigung ihrer zukünftigen Wohnräume angeboten, wie US-Medien berichten.
"Ungeschriebene Verpflichtung der First Lady"
Das ist ein eklatanter Bruch mit der Tradition. Vom Treffen zwischen Bess Truman und Mamie Eisenhower im Jahr 1953 über Laura Bushs Empfang von Michelle Obama, bei dem ihre Töchter Jenna und Barbara Obamas Kindern Sasha und Malia zeigten, wie man das Geländer in der Residenz hinunterrutscht, bis hin zu dem Moment, als Michelle Obama Melania Trump einlud, obwohl Donald Trump zuvor die Staatsbürgerschaft ihres Mannes in Frage gestellt hatte, "ist diese Tradition seit Langem eine der vielen ungeschriebenen Verpflichtungen der First Lady", wie CNN-Kommentatorin Kate Andersen Brower, Autorin des Buches "First Women: The Grace and Power of America's Modern First Ladies, schreibt.
"Es ist vielleicht nicht überraschend, dass Melania Trump eine soziale Norm ihrer Position missachtet hat. Jeder Präsident mit einer Amtszeit – und seine Frau – haben den Stachel der Niederlage gespürt, aber im Gegensatz zu ihrem Mann hat sich keiner von ihnen geweigert, das Wahlergebnis zu akzeptieren", stellt Andersen Brower fest.
Auch Betty Ford sei wütend gewesen, als ihr Mann Gerald 1976 das Rennen gegen Jimmy Carter verloren habe, berichtet CNN. Sie habe den Rundgang, den sie mit Rosalynn Carter machen sollte, zweimal abgesagt. Anders als Melania Trump rang sie sich aber schließlich doch durch und gab Carter eine "kurze, aber herzliche" Führung, wie diese hinterher erzählte.

Der Amtswechsel 1980 war ebenfalls schwierig. Carter hatte nach nur einer Amtsperiode gegen Ronald Reagan verloren und Rosalynn Carter musste Nancy Reagan in die Pennsylvania Avenue 1600 einladen. Dennoch habe die scheidende First Lady Reagan pflichtbewusst durch den zweiten und dritten Stock geleitet und ihre Bemühungen beschrieben, dort amerikanische Gemälde zu präsentieren, schreibt CNN weiter. Allerdings habe die scheidende First Lady die Führung abrupt abgebrochen, ohne Reagan das präsidiale Schlaf- und Arbeitszimmer zu zeigen.
Die frostige Stimmung sei durch die Zimmertemperatur noch verstärkt worden, enthüllte Nancy Reagan später. Jimmy Carter hatte wegen der damaligen Energiekrise darauf bestanden, die Wohnräume tagsüber auf kühlen 18 und nachts auf 13 Grad zu halten. "Die Kälte in ihrem Benehmen", so Nancy Reagan , "passte zur Kälte im Raum."
Michele Obama musste ihren Zorn verbergen
Am meisten Grund, ihren Nachfolgern eine respektvolle Übergabe von Amt und Heim zu verweigern, hätten aber die Obamas gehabt. "Ich will ehrlich sein, nichts davon war einfach für mich", schrieb Michelle Obama vergangenen November auf Instagram über die Treffen mit den Trumps. "Donald Trump hat rassistische Lügen über meinen Ehemann verbreitet und unsere Familie in Gefahr gebracht", erklärte sie in Hinblick auf die "Birther"-Lüge, mit der Trump Obama seine US-Staatsbürgerschaft und damit auch das Präsidentenamt absprechen wollte. "Ich war nicht bereit, ihm dafür zu vergeben."
Für das Wohl des Landes sei es jedoch unabdingbar gewesen, ihren "Zorn" hintanzustellen, betonte Michelle Obama in dem Posting. Also habe sie Melania im Weißen Haus willkommen geheißen und ihre Erfahrungen mit ihr geteilt – etwa, wie sich das Leben durch den Job als First Lady verändere und wie man Kinder im Weißen Haus großziehe. "Tief in meinem Herzen wusste ich, dass es das Richtige war."
Doch die Begegnungen der scheidenden mit den künftigen Bewohnern des Weißen Hauses waren nicht immer mit Spannungen verbunden. Manchmal haben sie sogar den Grundstein für lang anhaltende Beziehungen gelegt, wie CNN berichtet. So gelte der Übergang von den Bushs zu den Obamas im Jahr 2009 als einer der reibungslosesten in der modernen Geschichte. Obwohl auch Laura Bush während des Obama-Besuchs einige Missgunst wegen der Wahlkampfattacken auf ihren Mann beiseite schieben musste, wie sie in ihren Memoiren enthüllte: "Es ist leicht, einen amtierenden Präsidenten zu kritisieren, wenn man nicht derjenige im Oval Office ist, wenn man nicht für die Entscheidungen verantwortlich ist, die getroffen werden müssen. [...] Es ging so weit, dass sogar das Wetter Georges Schuld zu sein schien."
Dennoch lud Laura Bush Michelle Obama zweimal ins Weiße Haus ein, einmal allein und einmal mit ihren Töchtern. Der erste Halt auf dem Rundgang war laut Andersen Brower etwas Besonderes: Die Schlafzimmer, von denen sie dachte, dass sie Sasha und Malia, damals sieben und zehn Jahre alt, am besten gefallen würden.

Im vergangenen April nahmen Laura Bush und Michelle Obama an einer gemeinsamen Veranstaltung teil, um Geld für den Kampf gegen die Folgen der Corona-Pandemie zu sammeln. Eine Zusammenarbeit wie diese ist zwischen Melania Trump und jeder anderen First Lady kaum vorstellbar.
Quellen: CNN, "Washington Post", Michelle Obama auf Instagram