Ich bedaure, dass ich seine Mutter bin, er verhält sich grausam" - diese bitteren Worte sagte 2008 eine gewisse Vera Putina. Schon damals eine alte Dame, bettelarm, wie so viele Menschen in Georgien. Das Land hatte gerade einen kurzen Krieg mit Russland hinter sich, die Truppen aus Moskau waren tief ins georgische Kernland vorgedrungen. Der große Nachbar, er war der Feind und der Regierungschef des Feindes hieß Wladimir Putin - Vera Putinas "grausamer Sohn".
Es war nicht das erste Mal, dass sich die damals 82-Jährige zu Wort meldete und die Mutterschaft des mächtigsten Russen für sich reklamierte. Seit 1999 behauptet sie regelmäßig, Wladimir, genannt Wowa, sei ihr Kind. Das Problem dabei: Putin selbst bestreitet jede Verwandtschaft mit ihr. Das heißt, eigentlich sagt er überhaupt nichts über Vera aus Georgien.
Neugier ist tödlich
Aber glaubt man Recherchen diverser Journalisten, unter anderem einem Reporter der "Zeit", dann scheinen geheimnisvolle Kräfte mit viel Aufwand dafür zu sorgen, dass die Greisin endlich aufhört diese Geschichte in die Welt zu setzen. Mindestens drei Menschen, die sich seit Jahren mit ihrer Geschichte beschäftigen, sind ums Leben gekommen, vermutlich ermordet. Darunter auch ein Italiener.
Ist dies Vera Putina die Mutter des Kremlchefs?
Laut Putins offizieller Biografie wurde der Kremlchef am 7. Oktober 1952 in Leningrad geboren, dem heutigen Sankt Petersburg. Seine Eltern waren einfache Leute: der Vater Wachmann, schwer verwundet im Zweiten Weltkrieg, die Mutter Sanitäterin. Sie starb 1998, er ein Jahr später - da war Sohn Wladimir kurz davor, russischer Präsident zu werden.
Laut Vera Putina aber erblickte "Wowa" bereits zwei Jahre zuvor das Licht der Welt in dem Ort Otschor im Ural und zwar als Sohn eines gewissen Priwalow Platon. Weil der aber bereits verheiratet war, schickte ihn Vera in die Wüste. Danach zog sie mit ihrem neuen Lebensgefährten Georgi Osepaschwilli und dem kleinen Sohn nach Metechi in Georgien. Das Paar zerstritt sich, Wladimir, damals zehn Jahre alt, wurde zu entfernten Verwandten nach Sankt Petersburg verschickt: zu Wladimir Spiridonowitsch Putin und Maria Iwanowa Putina – die zwei, die der Präsident offiziell seine Eltern nennt.
Alles nur wilde Verschwörungstheorien?
An diesen beiden kreuzen sich die beiden Lebensläufe, von denen einer offenbar nicht stimmen kann und sich die Frage stellt: Warum sollte Waldimir Wladimirowitsch Putin seine eigene Mutter verleugnen? Die mögliche Antwort klingt nach einer wilden Verschwörungstheorie. Danach hatten einige kaukasische Geheimdienste Interesse daran, die erste Wahl Putins zum Präsidenten zu verhindern. Und dies würde am besten gelingen, indem sie angebliche Lügen in seiner Vita aufdeckten. Denn vermutlich hätte Putin die Präsidentenabstimmung nie gewonnen, wenn damals bekannt gewesen wäre, dass er ein uneheliches Kind ist und zudem nicht einmal in Russland aufgewachsen, sondern in Georgien. Vielleicht hätte er mit dieser Familiengeschichte nicht einmal zuvor diese Karriere beim KGB hinlegen können.
Obwohl die Geschichte an sich schon seit vielen Jahren im Umlauf ist, fehlt bis heute jeder Beweis, dass sie auch stimmt. "Zeit"-Reporter Steffen Dobbert, der sie in aller Ausführlichkeit, für die aktuelle Ausgabe noch einmal aufgeschrieben hat, hatte vor wenigen Wochen Vera Putina besucht. Was er berichtet, passt in die Reihe von unheimlichen Vorfällen, die vielen Menschen widerfahren sind, die sich damit beschäftigt haben: Angekommen im Dorf Metechi, hüllte sich die angebliche Mutter mehr oder weniger in Schweigen. Auch ihre Tochter Ljuba bittet darum, die alte Frau, mittlerweile 89 Jahre alt, doch in Ruhe zu lassen. Immer wieder seien Männer in dem Dorf aufgetaucht und hätten unmissverständlich deutlich gemacht, über dieses Thema besser nicht zu reden, erzählen sie. Auch die Nachbarn in dem Ort wurden dazu angehalten. Es heißt, die Unbekannten seien vom Geheimdienst.
Unbekannte nahmen Vera Blut ab
Sicher ist: Viele Bilder aus der Jugend Putins sind verschwunden und die, die es gibt, lassen keinen Hinweis darauf zu, welche Geschichte nun stimmt. Sicher ist auch, dass es eine Reihe von Todesfällen gab, die im Zusammenhang mit den Recherchen stehen. So starb 2000 ein italienischer Journalist, kurz nachdem ihn das Video überreicht wurde, auf dem Vera Putina offenherzig ihre Version zum Besten gab. Rustam Daudow, ein Tschetschene, der sich seit 2000 intensiv mit dem Fall beschäftigt, lebt zwar mittlerweile im Exil in Westeuropa, aber ein Mann gleichen Namens starb im Jahr 2003. An dem Ort, wo sich der "echte" Daudow zu dem Zeitpunkt aufhielt. Vor einigen Jahren bekam Vera Putina sogar Besuch von angeblichen Krankenschwestern, die der alten Frau Blut abnahmen. Wofür? Unklar.
Anlässlich des 70. Jahrestags des Kriegsendes, hat Wladimir Putin für die russische Zeitschrift "Russkij Pioner" einen Gastbeitrag geschrieben, in dem er das Schicksal seiner Eltern im "Großen Vaterländischen Krieg", wie die Russen den Zweiten Weltkrieg nennen, beschreibt. Es ist eine klassische sowjetische Heldengeschichte über Verzweiflung, Mut und Vaterlandsliebe. Auffällig oft erwähnt er darin, dass er die Erzählungen seiner Eltern mit Hilfe von Akten und Archiven hat überprüfen lassen. Ganz so, als würde er seinen eigenen Eltern nicht glauben. Oder ganz so, als benötige der Präsident offizielle Beweise dafür, dass er richtiger liegt, als eine greise Frau namens Vera Putina aus Metechi, Georgien.