Zahlen, Daten, Fakten Ärztemangel und Getreideschwemme

Vorurteile und Irrtümer

Viele glauben, die Polen säßen auf gepackten Koffern. In Wahrheit sind seit 1990 mehr Polen in ihr Land zurückgekehrt als ausgewandert. Irrtum Nr. 2: Für Polen ist es attraktiv, in Deutschland zu arbeiten, umgekehrt für Deutsche in Polen nicht. In Wahrheit haben derzeit rund 80 000 Deutsche eine polnische Arbeitserlaubnis, umgekehrt nur 12 000 Polen eine Arbeitserlaubnis für Deutschland. Auch nach dem Beitritt ist es weitere sieben Jahre nur eingeschränkt möglich, im Nachbarland zu arbeiten. Irrtum Nr. 3: Wenn Polen der EU beitritt, wird der Euro eine weiche Währung, weil die Polen die Inflation nicht in den Griff bekommen. Aber in Polen wird mit dem Beitritt nicht der Euro eingeführt. Bisher ist nicht einmal klar, wann für Polen die zweijährige Übergangsphase vor der Euro-Einführung beginnen wird. Davon abgesehen: Die Inflationsrate lag 2003 bei 0,7 Prozent.

Probleme

Der wirtschaftliche Wandel war hart. Zwar hat die polnische Regierung es geschafft, die hohe Inflation in den Griff zu bekommen, dafür war aber eine schmerzhafte Radikalkur in den Sozialsystemen notwendig. Zudem brachen Absatzmärkte im Osten weg, die Arbeitslosigkeit stieg rasant. Im Jahr 2002 waren 19,1 Prozent der Polen ohne Job, bei den Jugendlichen unter 25 Jahren waren es sogar 40,7 Prozent. Viele Polen haben heute das Gefühl, es gehe ihnen schlechter als vor der politischen Wende. Das vielleicht größte Problem des Landes ist die Landwirtschaft: Bauern, die den Acker noch mit Pferden bestellen, das Korn mit der Sense mähen, sind zwar ein idyllischer Anblick für Touristen, nach wirtschaftlichen Maßstäben ist diese Arbeitsweise aber unrentabel. Viele Felder liegen heute brach.

Wirtschaft

Mit einem Bruttoinlandsprodukt von 184,6 Milliarden Euro lag Polen im Jahr 2003 nicht nur 3,3 Prozent über dem Vorjahreswert, sondern auch vor Finnland, Griechenland, Portugal und Irland. Auf die Einwohner umgerechnet ist das BIP allerdings gering. 4830 Euro pro Kopf, weniger erwirtschafteten im Jahr 2003 nur Letten und Litauer. Zu den Boom-Branchen zählt die Autoindustrie. Schon jetzt werden Opel Agila, Fiat Panda und der T5 von VW in Polen produziert. Deutsche Firmen wie Schieder, Steinhoff und Klose beziehen ihre Möbel aus Polen. In der polnischen Glashütte Krosno werden Gläser für Villeroy&Boch, Rosenthal und Leonardo produziert. Zum Exportschlager entwickeln sich auch polnische Segelboote.

Rekorde und Rückstände

Polen gehört zu den größten Getreideproduzenten der EU. Hier werden jährlich 26877000 Tonnen eingefahren, mehr schaffen nur Italien und Deutschland. Kommunikationstechnik und Ärzte sind rar: Nur 366 von 1000 Polen hatten 2002 ein Mobiltelefon, rund halb so viele wie in Deutschland und weniger als irgendwo sonst in Europa. Nur 107 besaßen einen Computer. Ein polnischer Zahnarzt war 2002 für die Behandlung von 3817 Einwohnern zuständig, das ist die geringste Zahnarztdichte in ganz Europa. Ein Arzt war im Schnitt für 446 Patienten zuständig - mehr sind es nur in Großbritannien.

Polnische Verhältnisse

Der durchschnittliche Bruttolohn be trägt rund 2300 Zloty (485 Euro). Davon gehen zehn Prozent an die öffentliche Rentenversicherung, dazu kommt eine private Vorsorge, die ebenfalls Pflicht ist. Kranken- und Arbeitslosenversicherung trägt der Arbeitgeber allein. Insgesamt liegen die Beiträge zur Sozialversicherung bei etwa 30 Prozent. Einkommensteuern werden nach einem Drei-Stufen-Modell erhoben: 19 Prozent für niedrige, 30 Prozent für mittlere Einkommen und 40 Prozent Spitzensteuersatz.

Darek Kotuszewski, 40, ist Automechaniker und hat seit zehn Jahren eine eigene Werkstatt. Er lebt mit seiner Frau Dorota und drei Kindern in einem Haus am Rande von Warschau. Darek verdient 2000 bis 3000 Zloty im Monat, die Miete beträgt 900 Zloty. Darek hat kein eigenes Auto, er nutzt den Werkstattwagen. Für Urlaub reicht das Geld nicht.

Janina Florczak, 40, ist Religionslehrerin an einer privaten Schule, ihr Mann Jacek, 41, betreibt eine Ein-Mann-Firma für Renovierungsarbeiten. Sie haben acht Kinder, das neunte ist unterwegs. Janina verdient 1000 Zloty im Monat, 430 Zloty bekommen sie Kindergeld, mit Jaceks Einnahmen haben sie rund 2500 Zloty (527 Euro) im Monat. Die Wohnung besteht aus zwei Zimmern und einem Raum im Dachboden und kostet 360 Zloty im Monat. Familie Florczak ist streng katholisch und bekommt häufig Spenden aus der Gemeinde. Jacek nutzt einen alten Transporter als Firmenwagen, mit dem waren sie vergangenen Sommer auf einem Bauernhof in Masuren.

Czeslaw Wojnowscy, 52, und seine Frau betreiben das Hotel Janczes in Goldap. Zwei Töchter und ein Schwiegersohn sowie drei Angestellte arbeiten im Betrieb. Im Moment decken die Einnahmen gerade die Kosten, die Familie lebt von Ersparnissen. Der Mercedes-Bus ist Dienst- und Privatfahrzeug für alle Familienmitglieder. Der letzte Urlaub liegt 26 Jahre zurück - eine Reise mit der Familie in die Hohe Tatra.

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Frauke Hunfeld