Zuckerbrot und Peitsche Scharons Machtkampf mit den Siedlern tobt

Im Kampf um den israelischen Abzug aus dem Gazastreifen sucht Ministerpräsident Ariel Scharon eine Zustimmung des Parlaments gegen ultrarechte Siedler. Israel steht eine dramatische Woche bevor.

In Jerusalem wollen Gegner und Befürworter vor einer Abstimmung auf die Straße gehen. Am Ende des erbittert geführten Ringens könne gar eine Neuordnung der politischen Landschaft in Israel stehen, meinen Kommentatoren.

Mit Zuckerbrot und Peitsche kämpft Scharon seit Wochen um Zustimmung zu seinen Plänen, die ihm bereits einige Niederlagen bereitet haben. Alte Gefolgsleute des Regierungschefs und führende Politiker aus seiner Likud-Partei gehören zu den erbitterten Gegnern. Eine Mehrheit der Israelis ist aber laut Umfragen für den Gaza-Abzug und Scharons Plan einer "einseitigen Loslösung" von einigen Palästinensergebieten.

Regierungsmitglieder an der Kandare

Um einen Abzug zu ermöglichen, will die oppositionelle Arbeitspartei Scharon mit ihren Stimmen ein "Sicherheitsnetz" aufspannen. Mitgliedern seiner Regierung, die im Parlament gegen seine Vorstellung für eine Entschädigung der Siedler stimmen, hat Scharon eine sofortige Entlassung aus ihren Ministerämtern angedroht. Zahlungen an abziehende Siedler will er noch erhöhen. In der Knesset könne Scharon nun mit einer Mehrheit von 67 der 120 Abgeordneten rechnen, wie Beobachter ausgerechnet haben.

Die Führer der Siedlerbewegung seien über den Verlust ihres Einflusses geschockt, kommentiert die Zeitung "Maariv" nicht ohne Genugtuung. "In all den Jahren haben sie sich daran gewöhnt, die israelische Politik und ihre Methoden trotz ihres (geringeren) Anteils an der Bevölkerung zu bestimmen. Plötzlich werden sie auf einen angemessenen Platz gerückt", schreibt das Blatt. "Sie sind nicht das Volk und das Volk ist nicht mit ihnen - zumindest nicht in seiner großen Mehrheit."

Warnung vor einem "Bürgerkrieg"

Der Streit um den Abzug polarisiert die israelische Gesellschaft. Aufrufe an Soldaten zur Befehlsverweigerung und die als Drohung gemeinte Warnung vor einem "Bürgerkrieg" haben Regierung und Militärführung empört. Außenminister Silwan Schalom erklärte, er fühle sich an die Stimmung vor dem Mordabschlag auf den Ministerpräsident Izchak Rabin vor fast genau neun Jahren erinnert. Etwa ein Drittel der Israelis bezeichnete die Wahrscheinlichkeit eines Attentats auf einen führenden Politker im kommenden Jahr als hoch.

In der aufgeheizten Atmosphäre fordern die Gegner des Abzugs, nach einem Parlamentsentscheid müsse es noch eine Volksabstimmung geben. Scharon lehnt dies ab, lässt aber eine Arbeitsgruppe über die Auswirkungen eines Referendums beraten. Ein Volksentscheid würde den Zeitplan für einen Abzug, der im kommenden Jahr abgeschlossen sein soll, durcheinander bringen.

Das nationale Lager ist gespalten. Israels Parlamentspräsident Reuven Rivlin warnt in einem Schreiben an 3000 Likud-Leute, Scharons Plan führe in seiner Konsequenz auch zum Abzug aus dem gesamten Westjordanland. Dies gilt ihm als Schreckensszenerio, während Politiker aus der EU genau darauf hoffen. "Dies ist nur der Anfang, lasst uns da keinen Fehler machen", schrieb Rivlin. "Jemand der sich (im Gaza-Siedlungsblock) Gusch Katif zum Besatzer erklärt, wird die Kapitulation nicht darauf beschränken können."

Von Carsten Hoffmann/DPA