Die Formel 1 ist seit jeher ein Intrigantenstadl, dessen Auswüchse die Liebhaber dieses Sports oft bestens unterhalten, belustigen oder entsetzten. Je nachdem, welchem Fahrer oder welchem Team man anhängt oder welche Perspektive man einnimmt. Doch beim jüngsten Schurkenstück, dass die Formel 1 nach ihrem Saisonende aufführte, war die Rollenverteilung eindeutig. Der Motorsport-Weltverband Fia nahm auf der Bühne die Rolle des Bösewichts ein, Gegenspieler waren Mercedes-Teamchef Toto Wolff und dessen Ehefrau Susie Wolff, die von einer Allianz aller Teams gestützt wurden – und am Ende siegreich das Schlachtfeld verließen. Zurück blieben ein blamierter Weltverband und ein Fia-Präsident Mohammed bin Sulayem, dessen ohnehin angeschlagener Ruf weiteren Schaden nahm.
Wie heftig Wolff den "Angriff" empfand, betonte er in einem Interview: "Aber wenn man auf meine Familie losgeht, ist das ein anderes Level. Es wurde aus dem Nichts eine absurde Anschuldigung kreiert. Das war ein persönlicher Angriff, bei dem eine rote Linie überschritten wurde", sagte er.
Was war passiert?
.
Aufruhr in der Formel 1: Angeblich gab es eine anonyme Quelle
Am Dienstag vergangene Woche war in dem Branchenblatt "BusinessF1" ein Artikel erschienen, in dem darüber spekuliert wurde, dass Susie Wolff als Leiterin der Frauenrennserie F1 Academy Zugang zu vertraulichen Informationen des Formel-1-Managements hätte (Fom) und diese an ihren Mann weitergeben haben soll. Umgekehrt soll Toto Wolff seine Frau über vertrauliche Gespräche der Teamchefs informiert haben, die so zur Formel-1-Führung gelangt seien. Angeblich hätten sich andere Teamchefs bei Fia-Präsident Mohammed bin Sulayem beschwert. Die Informationen stammten demnach von einer anonymen Quelle aus der Fom.
Wundersamerweise ging die Fia entgegen ihrer Gewohnheit sofort an die Öffentlichkeit und kündigte eine Compliance-Untersuchung an. Der Aufruhr war gewaltig, nicht nur bei den Wolffs und dem Mercedes-Team, sondern in der ganzen Formel 1. Susie Wolff berichtete später von "Online-Beschimpfungen über meine Arbeit und meine Familie", die durch die Spekulationen ausgelöst worden seien. Doch dann geschah etwas, was es in dieser Form nie zuvor gegeben hatte. Die anderen neun Rennställe zeigten sich solidarisch und erklärten unisono, dass sich niemand über irgendwelche Info-Lecks beschwert habe. Auch von der Fom wurden die Vorwürfe zurückgewiesen.
Die massive Gegenwehr zeigte schnell Wirkung: Zwei Tage später stellte die Fia die Ermittlungen ein, rechtzeitig vor der großen Gala am Freitagabend in Aserbaidschans Hauptstadt Baku. Dazu gab der Weltverband ein windelweiches Statement heraus: "Nachdem wir uns die Verhaltensregeln bei der Fom und die F1-Politik in Fällen von Interessenskonflikten noch einmal angeschaut haben, hat sich bestätigt, dass angemessene Maßnahmen in Kraft sind, um mögliche Konflikte zu vermeiden. Die Fia stellt deshalb zufrieden fest, dass das Fom-Compliance-Management-System robust genug ist, um ein nicht genehmigtes Offenlegen von vertraulichen Informationen zu verhindern."
Die Fia zog den Schwanz ein
Anders ausgedrückt: Die Fia zog den Schwanz ein und trollte sich. Am Freitag bekam der Verband in Baku einen von Siebenfach-Weltmeister Lewis Hamilton mit: Eine "enttäuschende Woche" sei das gewesen, ließ er wissen. Die Fia habe versucht, "die Integrität einer der unglaublichsten weiblichen Führungspersönlichkeiten, die wir mit Susie Wolff je in unserem Sport hatten, in Frage zu stellen". Sein Mercedes-Team kündigte an, rechtliche Schritte zu prüfen.
Am Ende bleibt vor allem die Frage: Warum hat der Weltverband gegen jedes besseres Wissen so gehandelt und die gesamte Formel 1 gegen sich aufgebracht? Die Vermutung liegt nahe, dass Fia-Präsident Mohammed bin Sulayem im Machtkampf mit Fom-Boss Stefano Domenicali und der gesamten Formel 1 einen ihrer stärksten Vertreter, Toto Wolff und das Mercedes-Team, schwächen wollte.
Seit der frühere Rallyefahrer aus Dubai Präsident des Weltverbandes ist, kommt es regelmäßig zu Konflikten. So wollte Bin Sulayem ein elftes Team in der Formel 1 zulassen. Bislang scheiterte der Einstieg des US-Teams Andretti aber am Widerstand der anderen Rennställe, die keine finanziellen Einbußen hinnehmen möchten und sich vor einem potenten Konkurrenten fürchten. Außerdem wäre Andretti ein ernstzunehmender Mitbewerber, weil der Auto-Konzern General Motors hinter Andretti steht und damit sehr viel Geld. Bis 2028 will GM dem neuen Team einen eigenen Motor zur Verfügung stellen. Womit Bin Sulayem die Teams ebenfalls in helle Aufregung versetzte, war seine öffentliche Spekulation über einen Verkauf der Rennserie an Saudi Arabien – das kam nicht so gut an.
Sollte also tatsächlich Bin Sulayem hinter dem Angriff auf Susie und Toto Wolff stehen, hat sich der Emirati kräftig verspekuliert und etwas geschafft, was es in der Form bisher nicht gegeben hat: eine Einigkeit unter den zehn Rennställen. Im Kampf um die Vorherrschaft in der Formel 1 ist das ein Rückschlag.
Quellen: "Süddeutsche Zeitung", "Motorsport total", "Motorsport Magazin", "Auto Motor Sport"