Auch mit der Einführung von Bildungsstandards werden sich im kränkelnden deutschen Schulsystem nach Einschätzung der GEW frühestens in zehn Jahren Verbesserungen zeigen. Die Pläne der Kultusministerkonferenz (KMK) zu Bildungsstandards seien unzureichend, sagte die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Eva-Maria Stange, der Nachrichtenagentur AP. Die Hauptprobleme seien "nicht im Hauruckverfahren und nicht mit Aktionismus" zu lösen, sondern nur mit grundlegenden Veränderungen.
Die KMK hat im Sommer erste Entwürfe für Bildungsstandards für den Mittleren Schulabschluss - die mittlere Reife - in den Fächern Deutsch, Mathematik und erste Fremdsprache vorgelegt und Stellungnahmen der Verbände eingeholt. Am 4. Dezember sollen sie auf der KMK-Sitzung in Bonn verabschiedet werden. "Wir sind momentan noch gar nicht zufrieden, da die derzeit vorliegenden Bildungsstandards von sehr unterschiedlicher Qualität sind", sagte Stange.
Die Entwürfe für Mathematik und Deutsch müssten "grundlegend überarbeitet werden, weil sie einfach nur ein Zusammenschreiben der heutigen Lehrplan-Praxis darstellen, sich aber nicht an Kompetenzen orientieren", kritisierte Stange. Zufriedener zeigte sie sich mit den Entwürfen für die erste Fremdsprache, die sich an einem europäischen Referenzrahmen orientierten. "Allerdings würden diese Standards eine vollkommene Veränderung unserer heutigen Unterrichtspraxis bedeuten", betonte die GEW-Vorsitzende. Dann stehe nämlich nicht mehr die Grammatik im Vordergrund, sondern die Fähigkeit zum tatsächlichen Gebrauch einer Fremdsprache.
Kein Konsens über Bildungsziele
Bildungsstandards müssten in ein "national gültiges Qualitätskonzept" eingebettet sein, erklärte Stange. In Deutschland gebe es aber derzeit keinen gesellschaftlichen Konsens darüber, was in der Schule überhaupt erreicht werden solle. Bildungsstandards sollten beschreiben, was Schüler in zentralen Kompetenzbereichen zu einem bestimmten Zeitpunkt können sollten. So sollten sie am Ende ihrer Schulzeit "Texte nicht nur lesen können, sondern aus Texten auch Informationen entnehmen und sich bis zu einem bestimmten Grad sprachlich ausdrücken können", sagte Stange. Mathematische Kompetenz heiße etwa, dass Schüler in der Lage seien, ein einfaches Diagramm in einer Zeitung zu verstehen.
Als zentrale Probleme des deutschen Bildungssystems sieht Stange eine "absolute soziale Ungerechtigkeit" sowie ein Leistungsproblem: Kinder aus sozial schwachen und Migrantenfamilien würden stark benachteiligt, gleichzeitig versage das System darin, ein hohes Bildungsniveau für den Durchschnitt der Schüler zu garantieren. Zu lösen seien diese Probleme nur mit grundlegenden Veränderungen, betonte die GEW-Vorsitzende. "Und die brauchen Zeit. Man geht davon aus, dass solche grundlegenden Änderungen erst in frühestens zehn Jahren Erfolge zeigen können."
An der politischen Diskussion kritisierte Stange "eine Art Schizophrenie": Einerseits würden grundlegende Veränderungen gefordert, andererseits würden die Mittel dafür aber immer knapper. "Wir haben Jahr für Jahr immer weniger finanzielle Mittel für die Ausstattung der Schulen zur Verfügung, und das geht zu Lasten der Arbeitsbedingungen der Lehrer und zu Lasten der Lernbedingungen für die Schüler."