Corona Inzidenz in Deutschland steigt erstmals über 300 – Ampel-Parteien verschärfen Pandemie-Pläne

Auf der Covid-Station, einem Bereich der Operativen Intensivstation vom Universitätsklinikum Leipzig
Auf der Intensivstation wächst seit Tagen die Zahl der Corona-Erkrankten mit schweren Verläufen, darunter immer mehr jüngere Patenten zwischen 30 und 60 Jahren
© Waltraud Grubitzsch / DPA
Die Coronazahlen in Deutschland kennen weiterhin nur eine Richtung. Erstmals in der Pandemie ist die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz auf über 300 angestiegen. Die Ampel-Parteien reagieren.

Die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz ist abermals auf einen neuen Höchstwert gestiegen. Das Robert Koch-Institut (RKI) gab die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner und Woche am Montagmorgen mit 303,0 an. Zum Vergleich: Am Vortag hatte der Wert bei 289,0 und vor einer Woche bei 201,1 (Vormonat: 68,7) gelegen. Die Gesundheitsämter in Deutschland meldeten dem RKI binnen eines Tages 23.607 Corona-Neuinfektionen. Das geht aus Zahlen hervor, die den Stand des RKI-Dashboards von 03.52 Uhr wiedergeben. Am vergangenem Donnerstag hatte die Zahl der Neuinfektionen mit 50.196 einen Rekordwert seit Beginn der Pandemie erreicht. Vor genau einer Woche hatte der Wert bei 15.513 Ansteckungen gelegen.

Offenbar als Reaktion auf die galoppierenden Coronazahlen haben die möglichen Koalitionspartner ihre Pläne zur Bekämpfung der Pandemie nachgeschärft. So soll die Möglichkeit von Kontaktbeschränkungen doch nicht abgeschafft werden. Dies geht aus einer Vereinbarung von Vertretern der drei Fraktionen hervor, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Zudem sollen Ungeimpfte ohne negativen Test keine Busse und Bahnen mehr benutzen dürfen – unabhängig von der weiter geltenden Maskenpflicht.

Ohne diese Verschärfungen der bisherigen Pläne wären bestimmte Maßnahmen nach dem Auslaufen des Rechtsstatus der Epidemischen Lage nationaler Tragweite zum 25. November nicht mehr möglich. Am Vorhaben, den Epidemie-Sonderstatus zu beenden, halten die drei koalitionsbildenden Parteien aber fest.

Welche Beschränkungen sollen doch möglich bleiben?

  • Kontaktbeschränkungen: "Die Möglichkeit, Kontaktbeschränkungen im privaten und im öffentlichen Raum anordnen zu können, soll in den Maßnahmenkatalog ergänzend aufgenommen werden", vereinbarten die möglichen Partner einer sogenannten Ampel-Koalition, mit deren Bildung fest gerechnet wird. Grünen-Chef Robert Habeck erläuterte in der ARD: "Kontaktuntersagung oder 2G-Regelung heißt in weiten Teilen: Lockdown für Ungeimpfte. Das ist die Vulgärübersetzung."
  • Andere Beschränkungen: Die Bundesländer sollen eine Öffnungsklausel bekommen. Das heißt, auf Beschluss ihres jeweiligen Landtags sollen sie bestimmte Maßnahmen beibehalten können. So sollen sie etwa Freizeit-, Kultur- und Sportveranstaltungen sowie Versammlungen untersagen oder beschränken können, das Betreten von Gesundheitseinrichtungen verbieten können, Verkauf und öffentlichen Konsum von Alkohol verbieten und Hochschulen schließen können.

Welche Beschränkungen sollen nicht mehr möglich sein?

  • Ausgangs- oder Reisebeschränkungen
  • Untersagung oder Beschränkung von Gastronomie und Hotellerie sowie von Handel und Gewerbe
  • Untersagung oder Beschränkung von Sport

Was soll die Länder-Klausel bringen?

"So lässt sich einerseits regional unterschiedliches Infektionsgeschehen sehr gezielt bekämpfen, andererseits verlagern wir die Verantwortung auch dort von der Exekutive zurück in die Parlamente", hieß es zur Begründung.

Was ist noch geplant?

Im öffentlichen Nah- und Fernverkehr soll künftig zusätzlich zur Maskenpflicht eine 3G-Regel gelten: "Wer ein öffentliches Verkehrsmittel nutzt, muss dann entweder geimpft, genesen oder getestet sein", wurde erläutert.

Wie lange sollen die Maßnahmen befristet sein?

Bisher hatten SPD, Grüne und FDP als Enddatum den 19. März 2022 vorgesehen. Nun gibt es eine einmalige Verlängerungsmöglichkeit: "Der Bundestag wird ermächtigt, bis zum 19.3.2022 durch einen Beschluss die Geltungsdauer der Vorschriften um maximal drei Monate zu verlängern."

Welche anderen Maßnahmen sind noch bekannt?

Wieder eingeführt werden soll die ausgelaufene Homeoffice-Pflicht für Arbeitnehmer, wie aus einem der dpa vorliegenden Entwurfstext aus dem SPD-geführten Arbeitsministerium hervorgeht. Dies ist aber Teil des Gesetzentwurfs für die 3G-Regeln am Arbeitsplatz.

Wie ist bisher der Stand?

Die Änderung des Infektionsschutzgesetzes ist in den Bundestag bereits eingebracht. Die vereinbarten Verschärfungen müssen also nachträglich eingefügt werden. An diesem Montag steht die zum Gesetzgebungsverfahren gehörende Anhörung von Experten an. Am Donnerstag soll der Bundestag dann abstimmen.

"Das Gesetz kriegt jetzt eine neue Rechtsgrundlage, eine sicherere Rechtsgrundlage", sagte Habeck. "Wir nehmen nur die Möglichkeit weg: flächendeckenden Lockdown ohne Unterscheidung für Geimpfte und Ungeimpfte."

Zahlreiche Kritiker besonders aus der Wissenschaft, aber auch Ländergesundheitsminister der Grünen hatten in den letzten Tagen das Vorhaben gerügt, auf Instrumente wie Kontaktbeschränkungen gänzlich zu verzichten. Die Unionsfraktion hatte angekündigt, im Bundestag eine Verlängerung des Epidemie-Status zu beantragen, um ein Ende der Kontaktbeschränkungen zu verhindern.

Der Bonner Virologe Hendrik Streeck sagte der dpa: "Wir werden nicht darum herumkommen, dass wir in gewisser Weise wieder Kontaktbeschränkungen haben werden und dass man Großveranstaltungen in dieser Form vielleicht nicht mehr durchführen kann - oder wenn, dann nur unter strengen Auflagen." Eine Möglichkeit seien Veranstaltungen mit einem PCR-Test für Ungeimpfte und einem Antigen-Schnelltest für Geimpfte und Genesene, erläuterte der Direktor des Virologie-Instituts der Universität Bonn.

Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach ist persönlich aber der Überzeugung, dass "eine sehr strenge 2G-plus-Regelung bei Veranstaltungen und 2G überall" wirkungsvoller sei als Kontaktbeschränkungen, wie er in der "Bild"-Sendung "Die richtigen Fragen" sagte. 2G meint: Zutritt nur für Geimpfte und Genesene - 2G plus: nur für diese Gruppe, wenn sie zusätzlich getestet ist. "Das entspricht für die Ungeimpften einer Art Lockdown", erklärte Lauterbach.

Vor allem die FDP hat sich bisher gegen ihrer Ansicht nach zu weitgehende Beschränkungen gestemmt. Parteichef Christian Lindner sagte den Sendern RTL und ntv: "Für Geimpfte muss es weiterhin die Möglichkeit für das gesellschaftliche Leben geben - alles andere wäre unverhältnismäßig."

Wie ist die Corona-Lage?

Die Pandemie ist in den vergangenen Wochen außer Kontrolle geraten. Nach RKI-Angaben hat die Zahl der Infektionen inzwischen die Marke von fünf Millionen überschritten. Die Sieben-Tages-Inzidenz je 100.000 Einwohner stieg am Montag auf einen Rekordwert. An der Spitze stand Sachsen mit 754,3. "Bei den Fallzahlen, die wir jetzt haben, werden die Kliniken in den ersten beiden Dezemberwochen bundesweit die Kapazitätsgrenze überschreiten", sagte Lauterbach den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.

Deutschlandweit wurden den neuen Angaben zufolge binnen 24 Stunden 43 Todesfälle verzeichnet. Vor einer Woche waren es 33 Todesfälle gewesen. Das RKI zählte seit Beginn der Pandemie 5.045.076 nachgewiesene Infektionen mit Sars-CoV-2. Die tatsächliche Gesamtzahl dürfte deutlich höher liegen, da viele Infektionen nicht erkannt werden.

Die Zahl der in Kliniken aufgenommenen Corona-Patienten je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen – den für eine mögliche Verschärfung der Corona-Beschränkungen wichtigsten Parameter – gab das RKI am Freitag mit 4,70 an (Donnerstag: 4,65). Der Wert wird am Wochenende nicht veröffentlicht. Bei dem Indikator muss berücksichtigt werden, dass Krankenhausaufnahmen teils mit Verzug gemeldet werden. Ein bundesweiter Schwellenwert, ab wann die Lage kritisch zu sehen ist, ist für die Hospitalisierungs-Inzidenz unter anderem wegen großer regionaler Unterschiede nicht vorgesehen. Der bisherige Höchstwert lag um die Weihnachtszeit bei rund 15,5.

Die Zahl der Genesenen gab das RKI mit 4.494.300 an. Die Zahl der Menschen, die an oder unter Beteiligung einer nachgewiesenen Infektion mit Sars-CoV-2 gestorben sind, stieg auf 97.715.

DPA
kng/cl