Die Ereignisse der Pandemie überschlagen und widersprechen sich. Sprach sich zunächst Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) für das Ende der epidemischen Lage aus, wird dieser Vorschlag am 25. November mit Unterstützung der Ampel-Parteien umgesetzt. Protest kam aus den Bundesländern, die einen erneuten Flickenteppich befürchten. Gleichzeitig datierte die künftige Ampel-Koalition den "Freedom Day" – das Ende aller Schutzmaßnahmen – auf den 20. März. In diesem Jahr sollen zudem die Weihnachtsmärkte wieder öffnen. Über die Auflagen entscheiden teilweise die Länder, teilweise die Veranstalter. Mancherorts muss ein Hygienekonzept vorgelegt werden, andernorts nicht. Auf manchen Märkten gilt die 3G-, auf anderen die 2G-Regel, und in einigen Städten sollen Geimpfte von den ungeimpften Getesteten getrennt werden. Selbstverständlich unterliegen diese Maßnahmen Kontrollen, wie die Veranstalter einiger Märkte betonen.
Kontaktbeschränkungen stehen, anders als im letzten Jahr, bisher nicht zur Debatte. Unterdessen breitet sich das Coronavirus weiter aus, die Fallzahlen steigen kontinuierlich. Am Montag verzeichnete das RKI den ersten Höchststand seit Pandemiebeginn – und jeder weitere Tag übertrumpft den vorhergehenden. Zuletzt berieten die Gesundheitsminister der Länder gemeinsam mit Jens Spahn darüber, wie man das Infektionsgeschehen wieder unter Kontrolle bringen könnte. Neben einem Angebot für eine Impf-Auffrischung waren sich die Minister darin einig, dass auch Kontakte und Nachweise wieder rigide überprüft werden müssten. Denn die seien, so der Vorwurf in Richtung Gastronomen, in letzter Zeit vernachlässigt worden.
Nur zehn Prozent werden regelmäßig kontrolliert
In größeren Städten, wie Heidelberg, Karlsruhe, Mannheim oder Pforzheim, habe man bei strichprobenartigen Kontrollen bereits Verstöße festgestellt, bestätigte etwa ein Sprecher des Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Integration in Baden-Württemberg. "Zumeist hatten die Betriebe kein Hygienekonzept oder das Hygienekonzept war fehlerhaft." Zudem seien die Kontaktdaten teilweise nicht oder nicht richtig erhoben worden. Auch 3G-Nachweise wurden den Angaben zufolge nachlässig kontrolliert. "Die meisten Gastwirte arbeiten aber korrekt und verantwortungsvoll", betonte der Sprecher.
Diese Beobachtungen werden von wissenschaftlichen Untersuchungen untermauert. Laut dem "Covid-19 Snapshot Monitoring" der Universität Erfurt vom September wurde mehr als die Hälfte der Befragten (fast) nie nach einem Impfnachweis gefragt. Lediglich zehn Prozent gaben an, häufig einen Nachweis vorlegen zu müssen. Die Erkenntnisse decken sich mit Daten des Meinungsforschungsinstituts Civey, das eine ähnlich Umfrage für das Magazin "Business Insider" durchgeführt hat. Demnach gaben 40 Prozent der Befragten an, bei ihrem letzten Restaurant-, Bar- oder Kinobesuch nicht auf einen Impfnachweis, Genesenen-Nachweis oder negativen Corona-Test kontrolliert worden zu sein. Fast ein Drittel wurde zwar kontrolliert, allerdings nicht nach dem Ausweis gefragt – obwohl dieser vorgeschrieben ist. Der Umfrage zufolge wurden nur neun Prozent der Teilnehmer richtig kontrolliert, inklusive Nachweisen und Ausweis.
Keine klaren Angaben, wie die Kontrollen überprüft und umgesetzt werden sollen
Kritik an der Kontroll-Müdigkeit kam auch vom Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga). Dem stern teilte die Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes, Ingrid Hartges, mit: "Die geltenden Corona-Schutzmaßnahmen sind von allen Betrieben einzuhalten. Dazu gehört insbesondere die konsequente Zugangskontrolle." Die Mitglieder würden seit Pandemiebeginn über die rechtlichen Auflagen und Verpflichtungen informiert. Hartges verwies zudem darauf, dass bei Verstößen Bußgelder drohen. In Thüringen etwa könne die Missachtung der Maßnahmen zwischen 1500 und 5000 Euro kosten. "Bei allem Verständnis für den Mehraufwand ist ein Nichtbeachten der Vorgaben auch unfair gegenüber der großen Mehrheit unserer Mitglieder, die sich an die Regeln hält", sagte Hartges dem stern.
Wie die von den Gesundheitsministern geforderten strengeren Nachweiskontrollen erfolgen sollen, ist nicht ganz klar. Das Bundesgesundheitsministerium verwies auf Anfrage an die Bundesländer. Die wiederum teilten mit, die Kontrolle der Gastronomen obliege – je nach Land – den Gesundheitsämtern, Behörden der Landkreise, Bezirksämtern oder der Ortspolizei. Konkrete Richtlinien für die Gastronomen fehlen aber. "In fast allen Bundesländern sind die gastgewerblichen Betriebe zur Kontrolle der entsprechenden Nachweise verpflichtet, ohne dass immer explizit ausgeführt wird, wie diese Kontrolle zu erfolgen hat", teilte Dehoga-Hauptgeschäftsfüherin Hartges mit. In einigen Bundesländern sei ein Ausweispapier erforderlich, in anderen nicht.
Das Land Baden-Württemberg hat bereits auf die Forderung der Gesundheitsminister reagiert und zu "Schwerpunkt-Kontrollaktionen" in der Gastronomie aufgerufen. "Aber auch nach dieser Schwerpunkt-Aktion wird selbstverständlich weiterhin fortlaufend kontrolliert", sagte der Sprecher des Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Integration. Das Sozialministerium Sachsen verwies auf Anfrage auf einen Erlass, der die Landkreise und kreisfreien Städte zur Aufstellung von mindestens drei Kontrollteams, bestehend aus Beschäftigten des Gesundheits- und Ordnungsamtes, verpflichtet. "Die Landespolizei unterstützt hierbei durch die Entsendung von Polizisten in die Teams. Die Kontrollen durch die Teams haben täglich zu erfolgen", hieß es weiter. Niedersachsen udn Schleswig-Holstein betontne, dass es in der Verantwortung der Veranstalter liege, Nachweise aktiv zu kontrollieren.
Der Nutzen der Corona-Apps
Neben den Nachweiskontrollen gilt auch die Kontaktnachverfolgung als wichtiges Mittel zur Bekämpfung der Pandemie. Hierfür hatte das Bundesgesundheitsministerium im Sommer 2020 ein 69 Millionen Euro teures Projekt auf den Weg gebracht: Mit der Corona-Warn-App (CWA) sollten Infektionsketten entdeckt und unterbrochen werden. Seit ihrer Einführung Mitte Juni 2020 wurde die App nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums 35,8 Millionen Mal heruntergeladen (Stand: 10.11.2021). Über die App können Nutzer ihr Testergebnis teilen, sodass andere Nutzer und Kontakte über das mögliche Infektionsrisiko informiert und die Gesundheitsämter entlastet werden. Allerdings sind die Nutzer nicht dazu verpflichtet. "Die CWA basiert auf den Prinzipien der Freiwilligkeit, Anonymität und Dezentralität. Diese sind wesentlich für die hohe Akzeptanz in der Bevölkerung", teilte ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums mit.
Bisher hätten allerdings nur 624.436 Nutzer ihr Ergebnis über die App geteilt. Einer Untersuchung des Gesundheitsministeriums zufolge haben sich 83 Prozent der Nutzer, die mit einer sogenannten roten Warnung vor einem hohen Infektionsrisiko gewarnt wurden, testen lassen. Von den positiv getesteten hätten 80 Prozent ihr Ergebnis über die CWA geteilt. "Zum Stand Juni 2021 konnte eine Hochrechnung bei 475 Tausend geteilten positiven Testergebnissen zeigen, dass bis dahin ca. 200 Tausend Nutzende nach einer roten Warnung positiv getestet wurden und somit Infektionsketten erfolgreich unterbrochen wurden. Bei Fortschreibung der Annahmen dürfte diese Zahl inzwischen gut 30 Prozent höher liegen."

Auch die Luca-App wird millionenfach genutzt. Deren Nutzungszahlen sind seit Mai 2021 von etwas mehr als fünf Millionen Nutzern auf über 35 Millionen gestiegen. Allein im Oktober seien 181.072 Warnhinweise durch die Gesundheitsämter ausgespielt worden. Angesichts der rapide steigenden Fallzahlen müssten beide Apps regelmäßig bei den Nutzern Alarm schlagen.
Die CWA und die Luca-App verfolgen allerdings zwei unterschiedliche Konzepte. Während die CWA anonymisiert Personen und Risikokontakte registriert, werden bei der Luca-App gesichert Kontaktdaten der Besucher erfasst, die bei Bedarf dem Gesundheitsamt zur Verfügung gestellt werden. Bei Einchecken mit der CWA in geschlossenen Räumen wird zudem berücksichtigt, dass sich dort die Aerosole auch über größere Entfernungen hinweg bewegen. Veranstalter und Gastwirte können für den Check-in einen QR-Code in der CWA generieren.
Apps wie Luca sind vor allem dazu gedacht, die in den Bundesländern vorgeschriebene Erfassung von Personen in Restaurants, Geschäften oder bei Events digital umzusetzen, um eine fragwürdige Zettelwirtschaft abzulösen. Dabei müssen die Besucher ihre Kontaktdaten angeben. Solange die Infektionsschutzverordnungen der Bundesländer die Erfassung der persönlichen Daten vorschreiben, kann die Corona-Warn-App diese Aufgabe nicht übernehmen. Sachsen hat es allerdings im Mai als erstes Bundesland ermöglicht, die CWA auch für die rechtlich verbindliche Kontaktnachverfolgung einzusetzen.
Mit Material von DPA