Es geschah einmal mehr im Plauderton. Angela Merkel hat während des "Brigitte Live"-Talks nichts anderes getan, als eine politische Bombe platzen zu lassen. Die Ablehnung der "Ehe für alle" - also der Gleichstellung der traditionellen Ehe und eingetragener Partnerschaften Gleichgeschlechtlicher in vollem Umfang mit allen Rechten und Pflichten - war in CDU und CSU bisher stets fundamental, ein unverrückbarer Pfeiler der Unionspolitik. Nun, scheinbar mir nichts dir nichts, wünscht sich die Kanzlerin im mütterlichen Ton eine Diskussion "eher in Richtung einer Gewissensentscheidung". Sie sei betrübt, dass das individuelle Thema Gegenstand von "Parteitagsbeschlüssen" und "plakativen Dingen" sei, gibt sie den politischen Gegnern noch einen mit.
Der Kurswechsel zur "Ehe für alle" - ein Thema, das durchaus nicht nur direkt Betroffene umtreibt - kommt just zu dem Zeitpunkt, an dem klar ist, dass die Union mit ihrer Haltung alleine steht. Als auch Christian Lindner twitterte, dass er seiner FDP empfehlen werde, die Ehe für alle zur Bedingung für eine Koalition zu machen, war klar, dass sich Merkel und ihre Partei mit Blick auf eine Regierungsbildung im Herbst in dieser Frage bewegen müssen.
Die Gewissensentscheidung - ein genialer Kniff
Der Wunsch nach einer "Gewissensentscheidung" der Bundestagsabgeordneten ist dabei ein genialer Kniff: Weder jetzt, noch im Wahlkampf, noch in denkbaren Koalitionsverhandlungen werden sich Merkel und alle, die in der Union jahrelang gegen die Gleichstellung gewettert haben, auf diese Weise abschließend positionieren müssen. Denn dass es im Bundestag bei einer Abstimmung ohne Fraktionszwang eine deutliche Zustimmung zur "Ehe für alle" geben wird, gilt seit langem als sicher. Das Wahlkampfthema - eines der wenigen, das erkennbar unangenehm für CDU/CSU hätten werden können - ist nun tot. Und gefühlt hat sich Merkel mit ihrem menschlichen Ton beim "Brigitte Live"-Talk - unglaublich genug - auch noch an die Spitze der Bewegung gesetzt. Aus all' diesen Gründen wird sich die Union einer Abstimmung noch in dieser Legislaturperiode wohl nicht mehr widersetzen; Merkel hob den Fraktionszwang am Dienstag bereits auf. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz hatte zuvor die Abstimmung bereits noch für diese Woche eingefordert - was blieb ihm auch sonst?! Immerhin würde die Entscheidung der Sache dienen.

Die "Ehe für alle" ist ein besonders nachvollziehbares Beispiel dafür, wie das Mutti-Prinzip respektive das System Merkel funktioniert. Die politischen Gegner können sich krumm legen, zetern und zanken und sich in Unsinnigkeiten verstricken wie Schulz bei seinem Vorwurf, Merkel betreibe mit ihrer Zurückhaltung in Sachen Wahlkampf einen "Angriff auf die Demokratie" - am Ende steht nur eine glänzend da: Angela Merkel.
Angela Merkel - taktisch genial, wenig gestaltend
Die Kanzlerin steigt in gesellschaftliche Debatten gerne dann ein, wenn die Lösung schon klar auf der Hand liegt - und verhält sich so praktisch immer richtig. Man kann das für taktisch genial, souverän und kompetent halten. Und der Ausnahmefall, als sie sich in der Flüchtlingsfrage zu weit nach vorne wagte und harten Gegenwind zu spüren bekam, gibt ihr aus ihrer Sicht zudem recht. Eines aber ist diese Art von Politik gewiss nicht: aktiv gestaltend. Das ist ebenso beklagenswert wie das Fehlen kluger und wirksamer Gegenstrategien der anderen demokratischen Kräfte. Man muss nicht Merkel-Fan sein, um schon jetzt das Vakuum zu fürchten, dass diese sanft dominierende Persönlichkeit in der deutschen Politik hinterlassen wird.