Herr Tauss, Sie sind schon seit Jahren ein "gläserner Abgeordneter", geben im Internet Auskunft über Ihr Einkommen. Nun stehen die Nebenverdienste aller Abgeordneten im Internet: Haben Sie denn schon geguckt, was die Kollegen verdienen?
Nein. Der Tag ist heute sehr voll, ungeachtet der Tatsache, dass ich Geburtstag habe ...
Herzlichen Glückwunsch!
Vielen Dank. Aber es ist auch nicht relevant, wie viel der Einzelne nun verdient. Die Höhe der Nebeneinkünfte ist jenseits bestimmter Grenzen nicht interessant. Wichtig ist für den Wähler zu wissen: Wer arbeitet für wen. Es geht nicht um Neid, sondern darum, mögliche Interessenkonflikte transparent zu machen. Darauf haben die Wähler einen Anspruch. Das ist ein Beitrag zum Abbau von Politikverdrossenheit.
Reichen die Informationen, die jetzt veröffentlicht werden, um eventuelle Interessenkonflikte zu finden?
Das Gesetz war ein Kompromiss. Ich hätte mir Weitergehendes vorstellen können. Aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Wir lassen das jetzt so laufen und beobachten die Entwicklung. Wichtig ist, dass der Bundestag die Uno-Konvention gegen Korruption endlich ratifiziert und umsetzt. Das ist überfällig.
Zur Person
Der baden-württembergische SPD-Abgeordnete Jörg Tauss gehört dem Bundestag seit 1994 an. Zuvor hatte der gelernte Versicherungskaufmann als freier Journalist und Gewerkschaftsfunktionär gearbeitet. Tauss gehört zu den "gläsernen" Abgeordneten, die auf ihrer jeweiligen Internetseite präzise Auskünfte über ihre Einkommensverhältnisse geben.
"Transparency International" hat vorgeschlagen, dass die Nebeneinkünfte künftig vom Bundestagspräsidenten genehmigt werden müssen. Stützen Sie diesen Vorschlag?
Das ist eine schwierige Geschichte, weil dadurch die Freiheit des Mandats ein Stück weit gefährdet würde. Nehmen Sie einen Arzt: Wenn der sagt, er möchte nicht sein Leben lang im Bundestag sitzen, sondern irgendwann in die Praxis zurück, dann kann das nicht von Dritten und deren Genehmigung abhängig gemacht werden. Es kommt darauf an, mögliche Interessengegensätze transparent zu machen: Wenn sich jemand im Bundestag um das Telekommunikationsrecht kümmert, gleichzeitig in der Branche aber als Anwalt auftritt, ist es für die Wähler wichtig zu wissen, ob er im Sold eines Telekommunikationsanbieters steht. Das wäre eine problematische Gemengelage.
Wird jetzt der Druck auf Hinterbänkler steigen, die nebenher prima verdienen, aber im Parlament kaum auffallen?
Zweifellos wird der Druck steigen - und zweifellos zu Recht. Das Bundesverfassungsgericht hat klipp und klar gesagt: Das Abgeordneten-Mandat ist kein Nebenjob. Wenn jemand, etwa als Anwalt, zu Dutzenden bezahlte Mandate außerhalb des Parlaments wahrnimmt, dann ist das mit der Tätigkeit als Abgeordneter schwerlich vereinbar.
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Aber wird die neue Transparenz nicht Selbstständige davon abhalten, in den Bundestag zu gehen?
Ich wüsste nicht, warum das so sein sollte. Es ist eine deutsche Merkwürdigkeit, dass man Einkommen möglichst geheim hält. In den USA sagt man: Ich bin John und verdiene 100.000 Dollar im Jahr. Das ist eine Mentalitätsfrage.
Schürt die Veröffentlichung der Daten eine Neiddebatte in der Gesellschaft?
Nein. Es ist in der Gesellschaft so, dass es Leute gibt, die mehr verdienen, und Leute, die weniger verdienen. Vielleicht reduziert die Veröffentlichung sogar die Debatte über die Höhe von Politikergehältern. Jetzt kann jeder sehen, dass im Vergleich zur freien Wirtschaft selbst die gewiss nicht schlechte Bezahlung eines Bundestagsabgeordneten allenfalls noch einen Nebenerwerb darstellt.
Friedrich Merz verdient pro Jahr mindestens 56.000 Euro zusätzlich. Werden die Infos über die Nebeneinkünfte den Neid unter den Abgeordneten schüren?
Das glaube ich überhaupt nicht. Ich weiß, dass es Leute gibt, die mehr Geld auf dem Girokonto haben als ich. Bei mir weckt das keine Neidgefühle. Mich interessiert nur: Wenn mir ein Kollege in einem Gesetzgebungsverfahren gegenüber tritt, ist seine Meinung von den Interessen Dritter geleitet, von denen er seine Einkünfte bezieht, oder ist das seine politische Meinung? Die Höhe seines Einkommens ist mir gleichgültig. Wenn einer Multimillionär ist, dann sei ihm das herzlich gegönnt.