Abschiebung nach 17 Jahren Die Khateebs müssen bleiben!

Einer palästinensischen Großfamilie droht nach 17 Jahren die Abschiebung. Pfarrerin Carolin Simon-Winter kämpft für die Khateebs. In einem Gastbeitrag für stern.de erklärt sie, warum.

Das darf nicht sein! Diesen Satz höre ich immer wieder, ausgesprochen voller Empörung über das drohende Schicksal der Familie Khateeb. Was hier geschieht, ist eine menschliche und gesellschaftliche Tragödie. Hassan und seine Geschwister haben kein anderes zuhause, als das Hiesige. Wofür sollen sie jetzt verantwortlich gemacht werden? In welche "Heimat" sollen sie abgeschoben werden?

"Das darf nicht sein!" Hier werden keine Fremden in ihre Heimat zurückgebracht, hier sollen Heimische ins Nichts geschickt werden. Dieses Vorhaben scheint nicht nur geltenden Gesetzen zu widersprechen. Es steht auch im Widerspruch zur UN-Kinderrechtskonvention, in der das Kindeswohl Vorrang vor allen staatlichen und behördlichen Belangen eingeräumt wird. Und es widerspricht der Menschlichkeit und unseren christlichen Werten.

Hintergrund

Die achtköpfige Familie Khateeb aus Hessen soll nach 17 Jahren in Deutschland abgeschoben werden. (stern.de berichtete) Den Palästinensern wird vorgeworfen, bei ihrer Flucht nach Deutschland im Jahr 1992 falsche Angaben zu ihrer Nationalität gemacht zu haben. Seit 2006 ermittelt die von Polizei und Ausländerbehörde eingesetzte Arbeitsgruppe "AG Wohlfahrt" gegen die Familie.

Im Jahr 2007 wurde der Vater nach Jordanien abgeschoben. Die Khateebs haben nun eine Petition an den hessischen Landtag gestellt, in dem sie aus humanitären Gründen um ein unbestimmtes Aufenthaltsrecht bitten. Am 12. November wird sich der Petitionsausschuss voraussichtlich mit dem Fall beschäftigen.

Die evangelische Pfarrerin Carolin Simon-Winter ist Seelsorgerin an der Schule, an der Hassan, der älteste Sohn der Familie, sein Abitur gemacht hat. Zwei der Töchter besuchen momentan die Schule. Die Pfarrerin setzt sich seit Jahren vehement für die Khateebs ein.

"Das darf nicht sein!", habe ich oft gedacht voller Empörung über das Verhalten der zuständigen Ermittler. Diese Gruppe hat sich den Namen "Wohlfahrt" gegeben. Allein das ist zynisch und menschenverachtend. Ich habe miterlebt und gehört, wie sie von und über Familie Khateeb reden. "Abschieblinge" werden sie genannt, von "Rückführung" wird gesprochen "Schmarotzer" sollen sie sein "Menschen mit hoher krimineller Energie, die sich auf Kosten der Deutschen bereichern würden". So werden Menschen be- und verurteilt bevor ein richterliches Urteil ergangen ist. Es ist die moderne und subtile Form des Prangers.

"Das darf nicht sein!" Ich habe mitbekommen, wie der Vater, den sie in Abschiebehaft genommen hatten, nach Jordanien ausgeflogen wurde, ohne dass er die Möglichkeit hatte, sich von seiner Frau und seinen Kindern zu verabschieden.

"Das darf nicht sein!" Manchmal denke ich diesen Satz auch ganz leise für mich. Ich denke ihn, wenn ich die Geschwister Sara, Mohammed, Yasmin und Hamid sehe, wie sie bei Fußballspielen der Offenbacher Kickers am Stadionzaun kleben und mit ihrer Mannschaft bangen und jubeln.

"Das darf nicht sein!" Ich denke ihn ganz leise, wenn unsere Familien zusammen sind. Beim Adventsessen oder beim Iftar, dem Fastenbrechen während des Ramadans. Ich sehe noch genau vor mir, wie die Familie im Dezember 2007 bepackt mit Töpfen und Pfannen, mit Brot und Gemüse, unsere Straße entlang kam. Wir konnten nicht mehr bei ihnen feiern, da sie wegen der drohenden Abschiebung ihre Habseligkeiten verkauft hatten.

"Das darf nicht sein!", denke ich, wenn ich Frau Khateeb anblicke, die manchmal verrückt wird vor Sorge um die Zukunft ihrer Kinder. Die aber nicht aufgibt und hier bleibt, obwohl ihr Mann abgeschoben wurde. Nur hier haben die Kinder, die nicht arabisch lesen und schreiben können, eine Perspektive.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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"Das darf nicht sein!", denke ich, wenn ich Amal und Haitham Khateeb in der Pausenhalle sehe, umringt von ihren Freunden. Keines der Kinder hat sich aufgegeben. Sie gehen ihren Weg unbeirrt trotz der ständigen Bedrohung weiter. Wenn man sie lässt, werden die beiden im nächsten und übernächsten Jahr ihr Abitur machen. Dann werden sie arbeiten können und der deutschen Gesellschaft auch finanziell etwas zurückgeben können.

Zur Person

Carolin Simon-Winter ist Gemeindepfarrerin in Offenbach Lauterborn. Während des Theologiestudiums hat sie fast zwei Jahre in Sao Paulo/Brasilien gelebt. Sie ist verheiratet, Mutter von drei Kindern und zwei erwachsenen Stiefsöhnen.

"Das darf nicht sein!", habe ich oft gedacht, wenn ich mit Hassan oder seiner Mutter in Gottesdiensten war, in denen für eine menschliche und gerechte Welt gebetet wurde. Wir haben verschiedene Religionen und Glaubensformen. Aber als religiöse Menschen sind wir vereint in der Hoffnung auf ein menschliches Antlitz dieser Welt und tragen das unsere dazu bei. So hat Hassan, der Palästinenser und Moslem, im vergangenen Jahr in einer christlichen Kirche zum Gedenken der Reichspogromnacht seine Stimme einem deportierten und ermordeten Juden geliehen.

"Das darf nicht sein!" Hier geht es um Menschen und es kann und darf in unserem Land nicht sein, dass dies aus dem Mittelpunkt unseres Denken und Handelns gerät. Menschenverachtung, plumpe Diskriminierung und auch bequeme Gleichgültigkeit betrifft uns alle und verändert das Klima unseres Zusammenlebens zum Schlechten.

Was ich mir wünsche, wie es sein soll, lässt sich am besten mit einem Bild sagen, das sich mir eingeprägt hat: Im Dezember 2007, nachdem ein Abschiebeversuch gescheitert war, wollte sich Hassan Khateeb für die Unterstützung bei seinen Mitschülern bedanken. Alle, die mit Hassan gebangt haben, waren gekommen, auch viele Lehrer. Hassan hatte eine große Tafel "merci" Schokolade dabei. Er ging zu jedem einzelnen um sich zu bedanken und verteilte die Schokolade. Es gab nicht genug und doch haben alle etwas bekommen. Wir haben geteilt. Ich wünsche mir, dass wir noch viel mit Khateebs teilen können und sie mit uns. Das wäre eine wirkliche "Wohltat" für unser Land.