Seit ihrer Gründung wird die AfD kritisch beäugt. Vier Landesverbände erklärte der Verfassungsschutz für gesichert rechtsextremistisch – jetzt gilt diese Einstufung für die gesamte Partei. Gründe haben sich nach Ansicht Behörden in den vergangenen Jahren genügend angehäuft: menschenverachtende Äußerungen und Positionen von Partei und Mitgliedern, anti-demokratische Bestrebungen, ein fragwürdiges Volksverständnis. So jedenfalls schreibt es der Inlandsnachrichtendienst in seinem 1108-seitigen Gutachten über Deutschlands größte Oppositionspartei.
Im Mai erklärte die Behörde die Bundespartei schließlich für verfassungsfeindlich. Das Gutachten hielt sie unter Verschluss, doch die Plattform "Frag den Staat" und der "Spiegel" veröffentlichten Auszüge aus dem Dokument. Darin wurden zugängliche Quellen wie Reden, Interviews und andere Beiträge von 353 Mitgliedern unter anderem der Parteichefs Alice Weidel und Tino Chrupalla und des Bundestagsabgeordneten Maximilian Krah analysiert und als teils demokratie-, fremden- und islamfeindliche Positionen benannt. In der "obersten Führungsstruktur der AfD" herrsche eine "verfestigte fremdenfeindliche Haltung", resümiert der Verfassungsschutz.
Die Parteiführung reagierte daraufhin empört. Alice Weidel und Tino Chrupalla beklagten einen "Missbrauch staatlicher Macht zur Bekämpfung und Ausgrenzung der Opposition". Die AfD klagt nun gegen den Verfassungsschutz wegen der Hochstufung als gesichert rechtsextremistisch.
Völkische Aussagen und Positionen der AfD
Seit 2021 führt der Verfassungsschutz die AfD als rechtsextremen Verdachtsfall. Das Gutachten zeichnet das Bild einer Partei, die sich in den vergangenen Jahren immer weiter nach rechts bewegt hat. Mitglieder der liberalkonservativen Seite hätten die Partei nach und nach verlassen. Eine Radikalisierung beobachteten die Verfassungsschützer insbesondere seit 2023 und eine "Mäßigung ist nicht ersichtlich". Das völkisch-nationalistische Lager dominiere, heißt es in dem Gutachten.
Funktionäre der Partei würden zwischen "echten" Deutschen und "Passdeutschen" unterscheiden. Menschen mit Migrationshintergrund würden in der Partei als Menschen zweiter Klasse gelten. Der Bericht liefert dazu anhand fremdenfeindlicher, rassistischer und völkischer Aussagen von AfD-Mitgliedern Belege.
Der AfD-Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende der damaligen Jugendorganisation Junge Alternative, Hannes Gnauck, sagte etwa bei einer Wahlkampfveranstaltung in Brandenburg im vergangenen August: "Wir müssen auch wieder entscheiden dürfen, wer überhaupt zu diesem Volk gehört und wer nicht. Jeden Einzelnen von euch verbindet mehr mit mir als irgendein Syrer oder irgendein Afghane." Das sei "einfach ein Naturgesetz, und darauf können wir alle verdammt stolz sein." Gnauck soll bei einer anderen Rede von "Bevölkerungsaustausch" gesprochen haben.
Die AfD und der Islam
In dem Kapitel "Islamfeindlichkeit" nennt der Verfassungsschutz ein Interview von Alice Weidel mit einem Youtube-Kanal Ende 2023, in dem sie sich "in pauschalisierender Weise negativ über Muslime" geäußert habe. Weidel sagte darin den Angaben zufolge, Deutschland habe sich mit dem Zustrom von "kulturfremden Leuten" ein "massives gesellschaftspolitisches Problem" geschaffen, "was entgegen unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung ist".

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In einer Wahlkampfrede zur Landtagswahl in Brandenburg im vergangenen September habe Weidel dann "ihre muslimfeindliche Agitation zum Vorwurf eines aggressiven Dschihads gegen Nicht-Muslime in Deutschland" gesteigert.
Weidel sprach darin über Ausländerkriminalität. "Das sind Phänomene, das Herumgemessere, die Vergewaltigungen, die völlig neu sind in unserem Land", wird Weidel zitiert. "Das, was wir auf den deutschen Straßen erleben, ist der Dschihad. Hier wird ein Glaubenskrieg gegen die deutsche Bevölkerung bereits geführt."
Begriffe wie "Messer-Migration", "Messer-Zuwanderung", "Messer-Dschihad", "Überfremdung" oder der umstrittene Begriff der "Remigration" sind laut dem Verfassungsschützer keine spontanen Ausbrüche, sondern seien ein regelmäßiges Narrativ innerhalb der AfD.
Gegen die Demokratie
Doch die Partei richte sich nicht nur gegen Minderheiten und Migranten. Der Inlandsnachrichtendienst wirft den Mitgliedern vor, sich auch gegen das "Demokratieprinzip" im Grundgesetz zu richten. Als Beispiele hierfür zitiert der Bericht Aussagen von AfD-Politikern, die Politiker anderer Parteien unter anderem als "Volksverräter" diffamieren.
So habe Co-Parteichef Chrupalla bei einer Demonstration in Nürnberg im April 2023 die CDU-Politiker Friedrich Merz und Norbert Röttgen sowie die damalige Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) als "Vasallen Amerikas" verunglimpft. Der AfD-Europapolitiker Maximilian Krah habe zu einer Äußerung der Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt zur Migrationspolitik auf X erklärt: "Dieser grüne Generalplan bedeutet Umvolkung."
Nicht jede polemische Machtkritik sei ein Fall für den Verfassungsschutz, betont die Behörde. Kritisch werde es aber dann, wenn dem politischen Gegner die Existenzberechtigung abgesprochen werde.
Debatte um AfD-Verbotsverfahren
Die Hochstufung der AfD als gesichert rechtsextremistisch in Deutschland hat die seit Jahren geführte Debatte über ein Verbot der Partei erneut befeuert. Die neue Bundesregierung hält sich derweil noch zurück. Kanzler Friedrich Merz sagte, der Bericht des Verfassungsschutzes müsse zunächst analysiert werden, bevor er politisch bewertet werden könne. "Und bevor eine solche Auswertung nicht vorgenommen ist, will ich persönlich keine Empfehlungen geben für weitere Schlussfolgerungen seitens der Regierung", bekräftigte Merz.
Eine Wahl von AfD-Abgeordneten zu Ausschussvorsitzenden im Bundestag lehnt der Kanzler nach der Hochstufung durch den Inlandsnachrichtendienst allerdings klar ab. "Spätestens seit dem letzten Wochenende ist es auch für mich unvorstellbar, dass Abgeordnete im Deutschen Bundestag AfD-Abgeordnete zu Ausschussvorsitzenden wählen."