Angela Merkel Kein "mea culpa", keine Entschuldigung: Die Altkanzlerin möchte ihr Erbe gar nicht (v)erklären. Das ist für uns alle gut

Angela Merkel
Altkanzlerin Angela Merkel am Dienstagabend im Berliner Ensemble
© Fabian Sommer / DPA
Bei ihrem ersten Interview-Auftritt nach dem Ende der Kanzlerschaft gibt sich Angela Merkel mit sich und ihrer Politik im Reinen. Einen Grund für eine Entschuldigung sieht sie nicht. Vor allem möchte sie nun nur noch eines sein: Bürgerin. Gut so!

Politik ist keineswegs nur die Kunst des Möglichen, auch wenn Altkanzlerin Angela Merkel genau diese Maxime immer für sich reklamierte. Politik ist immer auch Gefühl, Emotion, manchmal auch Nostalgie. Und deswegen war die erste Frage, die sich fast jedem stellte, als Angela Merkel Monate nach ihrem Abschied zum ersten Mal wieder eine richtig große Bühne in Berlin bestieg: Hat man sie eigentlich vermisst? Würden wir ruhiger schlafen, wenn sie gerade mit bekannt ruhiger Hand durch diese Kriegs-Krise steuerte?

Die kurze Antwort lautet: nein. Das klingt brutal, fast unsentimental. So abgeschlossen. Es ist aber angebracht, weil Merkel umgekehrt keinen Deut sentimental wirkte, nostalgisch auch nicht. Sie ruhte in sich. Sie hat mit ihrer Kanzlerschaft abgeschlossen.

"Mea culpa" hört man von Angela Merkel nicht

Denn wer gedacht hätte, sie würde ein "mea culpa" abliefern, eine Rechtfertigung etwa für ihre Russland-Politik, die gerade auf dem Prüfstand steht, gar einen Kampf um die aktuelle politische Einordung oder die erste Version der Geschichte anzetteln: Fehlanzeige.

Merkels Ausführungen rund um Putin ließen sich kurz so zusammenfassen: Sie habe ja immer vor ihm gewarnt, und sie habe sich außerdem stets redlich bemüht. "Diplomatie ist ja nicht falsch, nur weil sie nicht gelingt", sagte Merkel und kam zu einem klaren Fazit: Sie jedenfalls werde sich nicht entschuldigen.

Ihre Aussagen sind ja auch durchaus richtig – ebenso übrigens wie der Einwand, der hinter den Kulissen von Merkels Leuten gestreut wird: dass Corona daran schuld sei, dass Putin ihr entglitten sei. Und doch ist es natürlich nicht die ganze Wahrheit, denn die wahre Frage lautet ja: Warum ist ihr die Diplomatie mit dem russischen Machthaber so entglitten, weshalb hat sie eben nicht funktioniert? Waren wir alle, auch Merkel, naiv, blauäugig, gar fahrlässig? Von der ganzen Diskussion um unsere Abhängigkeit von russischer Energie und der umstrittenen Gaspipeline Nord Stream 2, die ja laut früheren Aussagen Merkels stets eine rein wirtschaftliche Angelegenheit gewesen sein soll, ganz zu schweigen.

Merkel aber blieb sich auf der Bühne treu. Sie hat monatelang nicht gesprochen. Sie hat nun vor, ganz in Ruhe ihre politischen Memoiren zu schreiben. Aber sie will nicht mehr in den politischen Nahkampf. Das ist ihr gutes Recht als Bürgerin. Der Star-Schauspieler Ulrich Matthes, eng mit Merkel befreundet, hat dem stern vor Kurzem gesagt, er vermisse seine Freundin auch nicht im Kanzleramt. Matthes meinte das freundschaftlich, weil er ihr gönne, gerade nicht mehr Verantwortung tragen zu müssen. Aber er sagte auch, es sei Zeit gewesen für sie, als Kanzlerin abzutreten. Seit gestern Abend kann man ganz beruhigt sagen: Ja, so ist es. Und das ist auch gut so. Auch für uns Bürger, denn so wichtig der Blick in die Geschichte ist: Wir müssen in dieser akuten Krise gerade nach vorne schauen, nicht zurück. Und deshalb: Einen frohen Ruhestand, Bürgerin Angela Merkel.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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