Aufstieg der Piratenpartei Angst vor den Karrieristen

  • von Philipp Elsbrock
Die Piraten stürmen von Erfolg zu Erfolg, die etablierten Parteien staunen. Was kann sie noch stoppen? "Nur wir selbst", meinen altgediente Mitglieder.

Total auf Droge war Marina Weisband zuletzt am Sonntag. Als um 18 Uhr die Prognose für die Saarland-Wahl verkündet wurde, riss sie entrückt die Arme hoch, fiel ihrem Freund um den Hals und trat dann strahlend vor Glück ans Mikrofon. "Ein Toast auf die beste Partei der Welt", johlte sie auf dem Landesparteitag der NRW-Piraten, Jubel aus hunderten Kehlen schallte ihr entgegen.

Tatsächlich haben die Piraten momentan allen Grund, sich selbst zu feiern. Auf einmal sind sie mehr als nur eine Eintagsfliege. In Schleswig-Holstein kommen sie nach aktuellen sicher in den nächsten Landtag, in Nordrhein-Westfalen stehen sie konstant bei fünf Prozent. Und das, obwohl ihr Programm dort erst Mitte April bestimmt werden soll, vier Wochen vor der Wahl.

Etabliert sich da gerade eine sechste Kraft in der deutschen Parteienlandschaft?

Mehr über die Piraten

... lesen Sie im aktuellen stern ab Seite 44: "Die Piraten sind da. Wer sie sind, was sie wollen, was sie so stark macht - die Geburt einer neuen politischen Kraft"

Gekommen, um zu bleiben

"Die Entwicklung der Piratenpartei passt in ein Muster, wie sich in den letzten 30 Jahren Parteien in Deutschland neu etabliert haben", sagt Paul Nolte, Professor für Zeitgeschichte an der Freien Universität Berlin im neuen stern. Er sieht im Basisprotest und der Fokussierung auf digitale Freiheit Parallelen zu den Grünen und der Linken, die mit den Themen Umweltschutz und soziale Ungerechtigkeit begonnen hätten. Die etablierten Parteien schauen auf den Erfolg der Neulinge und wundern sich. "Das Phänomen ist stärker und andauernder, als manche es nach Berlin vermutet haben", sagt Peter Altmaier, parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion. Man darf davon ausgehen, dass mit "manche" auch seine eigenen Parteikollegen gemeint sind.

Öffentlicher Streit

"Sie haben eine ideale Nische gefunden", sagt Detmar Karpinski, Geschäftsführer der Hamburger Werbeagentur KNSK. Er hat einige erfolgreiche Kampagnen für Bundestagswahlkämpfe bestritten und attestiert den Piraten, einen hohen Wiedererkennungswert. "Mit den Piraten verbindet man automatisch Protest. Der Name steht schon für das Programm", sagt Karpinski.

Was soll sie eigentlich noch stoppen? Der größte Fehler, den etablierte Parteien machen, ist, ihre Glaubwürdigkeit zu verlieren. Die Piraten sehen sich davor gefeit, weil sie ihre Position laufend im Austausch mit der Basis erarbeiten und weiterentwickeln. Fehler zuzugeben gehört zu ihrer Art, an Politik heranzugehen, selbst größere Streitigkeiten auf Twitter schaden ihnen nicht.

Zustrom der Karrieristen

Altgediente Piraten haben dennoch einen Schwachpunkt ausgemacht, der sie auf ihrem Weg zum ganz großen Erfolg, dem Einzug in den Bundestag 2013, noch stoppen könnte. Der Preis der starken Wahlergebnisse könne höher sein, als manche es in der Partei erwarteten, sagt der Berliner Abgeordnete Gerwald Claus-Brunner im neuen stern. Er sitzt seit September vergangenen Jahres in der Piraten-Fraktion des Berliner Abgeordnetenhauses. Damals, kurz vor der Wahl, hatte die Partei noch 12.000 Mitglieder, nun sind es fast doppelt so viele. Einige sind darunter, so lassen die erfahrenen Piraten durchblicken, denen es nicht um piratige Werte, sondern vor allem um ihr eigenes Bankkonto gehe. Die in der Mitmach-Partei den Express-Weg zum Abgeordnetensalär sehen. Claus-Brunner hat Angst, "dass die Karrieristen, wenn die Basis nicht wachsam ist, alles an die Wand fahren und Wahlsiege sich als Pyrrhussiege entpuppen."

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick

Abonnieren Sie unseren kostenlosen Hauptstadt-Newsletter – und lesen Sie die wichtigsten Infos der Woche, von unseren Berliner Politik-Expertinnen und -Experten für Sie ausgewählt!

Auch der vielfach gehörte Vorwurf, die Partei verkörpere nur ein Gefühl, keine Inhalte, beschäftigt die Strategen der Partei. "Unsere Konzepte müssen laufen lernen, politik-tauglich werden", sagt Bernd Schlömer, der stellvertretende Bundesvorsitzende im stern.

Inhalte? Später

Doch um inhaltliche Positionen wird es erst gegen Ende des Jahres gehen. Zwar treffen sich die Piraten schon Ende April zu einem Bundesparteitag, allerdings wird dort nur das Personal verhandelt. Der Bundesvorstand muss neu gewählt werden - das reicht aus, um die Partei ein ganzes Wochenende zu beschäftigen.