AUSSTELLUNG Vernichtung mit System

Der 20. Januar 1942 und der Holocaust: NS-Funktionäre berieten damals in Wannsee die so genannte »Endlösung der Judenfrage«. Zum 60. Jahrestag wird nun in Berlin eine bisher einmalige Ausstellung gezeigt.

In dem Karton stapeln sich Bücher, Briefe, ein Fotoalbum und Schachteln mit Würfeln und Spielfiguren. Das ist alles, was an Lilly Bial erinnert. Die damals 13-jährige Jüdin wurde von ihren Eltern 1939 von Wien nach England geschickt. Sie selbst mussten bleiben und wurden drei Jahre später in einem Konzentrationslager ermordet. Vor der Deportation packten sie einen Karton für Lilly und übergaben ihn der Jüdischen Gemeinde. Der Karton wurde jedoch nie abgeholt.

Von heute an bis zum 9. April ist er eines von rund 1.200 Exponaten, die das Deutsche Historische Museum Berlin in einer Holocaust-Ausstellung zeigt. Anlass für die umfassende Schau ist der 60. Jahrestag der so genannten Wannsee-Konferenz. Damals, am 20. Januar 1942, berieten Beamte der nationalsozialistischen Ministerialbürokratie und der SS in einer Villa am Wannsee die organisatorisch-technische Durchführung der »Endlösung der Judenfrage«.

Bislang einmalig

Die umfassende Schau reduziert sich jedoch nicht nur auf eine Darstellung des nationalsozialistischen Völkermords an den europäischen Juden. Sie beschäftigt sich auch - und das ist das Besondere und in Deutschland bislang einmalige - mit seiner Wahrnehmung bis heute.

Erklärungen oder Deutungen, wie es zu diesem Völkermord kommen konnte, warum so viele Deutsche offenbar wegguckten, sucht man allerdings vergebens. Erstes Anliegen der multimedialen Schau scheint zu sein, zunächst einmal Grundsätzliches zum Völkermord zu vermitteln. Das scheint berechtigt, zeigten doch jüngste Umfragen, dass zwei Drittel aller 14- bis 18-jährigen Deutschen nichts mit dem Begriff Holocaust anfangen können.

Hoffnung auf erfolgreiche Wissensvermittlung

Die Ausstellung schürt zumindest die Hoffnung auf erfolgreiche Wissensvermittlung, was in erster Linie an ihrer abwechslungsreichen Präsenation liegt. Eine Multivisionsschau gibt Einblicke in jüdisches Leben in Deutschland. An Computern können Lebenswege ausgewählter jüdischer Personen nachverfolgt werden. Filme zeigen, wie alliierte Truppen Konzentrationslager befreiten. Und die ausgestellten Briefe, Ausweise, Lebensmittelmarken, geborstenen Kämme, geknickten Brillen, Häftlingsuniformen oder Davidsterne erzählen anschaulich vom Leiden der Juden.

Die Schau setzt bereits mit dem Ersten Weltkrieg ein. Jüdische Organisationen riefen ihre Mitglieder auf, sich freiwillig zum Kriegsdienst zu melden, um so endlich als gleichwertige Mitglieder der deutschen Gesellschaft anerkannt zu werden. Schnell jedoch verbreiteten sich Gerüchte, die Juden würden sich vor dem Kriegsdienst drücken.

Zwar waren die Juden in der Weimarer Republik in vielen Bereichen der Gesellschaft integriert. Auf Vorurteile trafen sie trotzdem. Mit der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 begann dann ihre Entrechtung, die in Deportationen und dem Völkermord gipfelte.

Politische Vergangenheitsbewältigung

Der zweite Teil der Schau setzt sich mit der politischen, juristischen und gesellschaftlichen »Vergangenheitsbewältigung« in der Bundesrepublik und der DDR auseinander. Gezeigt wird, wie sich im Westen eine große Mehrheit der Bevölkerung den so genannten »Schlussstrich« herbeisehnte - eine »Normalität« ohne Diskussion über den Judenmord. Die DDR dagegen nutzte die große Zahl ehemaliger Nazis im Staatsapparat der Bundesrepublik zu einer gezielten Kampagne gegen den westdeutschen Staat. Am Ende dieses Abschnitts steht ein Modell des Holocaust-Mahnmals des Architekten Peter D. Eisenman.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Zudem werden in der Ausstellung drei Institutionen vorgestellt, die hinsichtlich ihres Gedenkens an die Opfer sowie der Ermittlung und Erforschung der Geschichte besondere Bedeutung haben: Das Museum Auschwitz-Birkenau in Polen, die Gedenkstätte Yad Vashem in Israel und das Holocaust Memorial Museum in den USA.

Insgesamt unterstützen die Ausstellung 120 Leihgeber aus dem In- und Ausland. Die Schau wird von Filmen im Kino Arsenal sowie einer gemeinsam mit der Bundeszentrale für politische Bildung veranstalteten Vortragsreihe in der Akademie der Künste begleitet.