Von Freunden und wildfremden Menschen wurde der Rechtsanwalt Steffen Hörning in den vergangenen Wochen immer wieder angesprochen, alle wollten sie nur eines: "Sorgen Sie dafür, dass dieses Monster nie wieder freikommt." Als der Vertreter der Nebenklage dies am Montag in seinem Plädoyer vor dem Göttinger Landgericht sagt, blickt er den Angeklagten Jan O. an, doch der wendet erschrocken den Kopf ab. Nach eigenem Geständnis hat der 26-Jährige in Bodenfelde am 15. November 2010 die 14-jährige Nina und fünf Tage später den 13-jährigen Tobias mit äußerster Brutalität getötet. Hörning, der Tobias' Familie vertritt, steht mit seiner Forderung nicht alleine. Auch nach dem Willen der Anklage soll O. nie wieder freikommen.
Da jedoch ein vom Gericht bestellter Gutachter eine "ausgeprägte kombinierte Persönlichkeitsstörung" bei dem Angeklagten feststellte, geht auch die Staatsanwaltschaft von einer eingeschränkten Schuldfähigkeit aus. Staatsanwalt Jens Müller fordert daher in seinem Plädoyer eine Freiheitsstrafe von 15 Jahren wegen Mordes. Aber danach soll Jan O. nach dem Willen der Anklage in Sicherungsverwahrung genommen kommen, weil er laut Gutachter ein Mann mit "Hochrisikoprofil" ist und mit erheblicher Rückfallgefahr.
Gestützt auf den Gutachter ist sich Müller sicher, dass der Angeklagte mordete, "weil ihn kannibalistische und vampiristische Handlungen erregten". Tatsächlich hatte der Arbeitslose nach eigenem Geständnis der sterbenden Nina Fleischstückchen aus dem Hals gebissen und ihr Blut getrunken. Zwei Tage später kehrte er an den Tatort zurück, um die Leiche erneut zu beißen.
Am Montag hat im Göttinger Schwurgerichtssaal aber nicht nur die Staatsanwaltschaft das Wort. Im Blickpunkt stehen auch die Angehörigen. Etwa Ninas Mutter. Sie hatte alle Termine bei Gericht durchgestanden, "weil es um einen Sacherhalt geht, den man nicht mit dem Verstand fassen kann, aber den sie verstehen will", wie ihr Anwalt Carsten Ernst sagt. Er selbst bringe das Tatgeschehen auch nicht zusammen mit dem Angeklagten, "der da sitzt und aussieht wie ein schüchterner Junge", fügt Ernst hinzu.
Die Eltern von Tobias blieben dem Prozess dagegen fern. Der Vater kann nicht mehr arbeiten, jeden Tag geht die Familie auf den Friedhof, Trost aber bringt das nicht: "Jede Lebensfreude ist ausgelöscht", beschreibt ihr Anwalt Hörning das Leid der Familie. Sogar über einen Selbstmord hätten die Eltern schon mehrfach nachgedacht. Staatsanwalt Müller sagt, Jan O. habe nicht nur zwei Menschen ermordet, sondern auch zwei Familien zerstört. Ob ihn das erreicht, ist dem Angeklagten nicht anzumerken.
Es ist am Montag auf den Tag genau sechs Monate her, dass Tobias sterben musste. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass es auch bei diesem zweiten Tötungsdelikt im Kern um sexuelle Befriedigung ging. Der Anwalt von Tobias' Eltern aber glaubt, Jan O. habe den Jungen nur umgebracht, weil er fürchten musste, Tobias könne Ninas Leiche entdecken. Deshalb fordert Hörning in diesem Fall eine Verurteilung wegen Mordes ohne verminderte Schuldfähigkeit zu lebenslanger Haft und die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld.
Jan O., der Kontakte in die rechtsextreme Szene hatte, bestritt im Prozess sexuelle Motive für den Mord an Tobias mit der Begründung, er sei nicht homosexuell. Seine Befragung fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Nach dem Plädoyer seines Verteidigers hat er am Dienstag erstmals in öffentlicher Sitzung Gelegenheit, sich zu äußern - für das das letzte Wort. Dann spricht am kommenden Montag das Schwurgericht unter seinem Vorsitzenden Richter Ralf Günther das Urteil.