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Bundespräsident in der "Zeit"-Matinee Wulff zu Gast bei Freunden

Ein Journalist fragt, der Präsident antwortet: Hunderte Berliner wollen sich den Auftritt nicht entgehen lassen. Es wurde ein Talk paradox.
Von Lutz Kinkel

Am Ende des Gesprächs im Berliner Ensemble, der sogenannten "Zeit"-Matinee, zitiert Josef Joffe, Herausgeber des Wochenzeitung, drei Aussprüche des Preußenkönigs Friedrich des Großen. Bundespräsident Christian Wulff soll entscheiden, welcher sein Motto für die kommenden Wochen sein könnte.

Erstes Zitat:

"Ob man traurig oder heiter gestimmt ist, die Dinge gehen ihren Gang, und ein Ereignis mag gut oder schlecht sein, man muss es hinnehmen und seinen Ärger herunterschlucken, wenn einem das Glück zuwider ist."

Zweites Zitat:

"Wenn ich ein großes Problem habe, stelle ich mir die Erde von einem fernen Punkt im Weltall aus betrachtet vor: Wie klein ist sie doch, und wie klein ist mein Problem!"

Drittes Zitat:

"Es bleibt der Ochs, der feste steht, Und nicht der Krebs, der rückwärts geht."

Wulff entscheidet sich ohne Zögern für das erste Zitat und damit für die schicksalhaft-gefühlige Variante. Das namenlose "Glück" ist ihm gerade nicht hold, den namenlosen "Ärger" gilt es herunterzuschlucken. Joffe dürfte mit der Wahl zufrieden sein. Auch er hält die Affäre für hochgejazzt und überspannt, das hat er mehrmals zu erkennen gegeben, und zwar so laut und deutlich, dass er den Präsidenten damit nötigte, sich zum Verteidiger der Pressefreiheit aufzuschwingen. Ball Paradox im Berliner Ensemble. Höflicher Applaus, der Vorhang fällt.

Gelächter im Publikum

Eineinhalb Stunden zuvor, es ist 11 Uhr: Das Haus ist bis auf den letzten Platz besetzt, aus der Politik lässt sich kein Prominenter blicken, aber die Bürger wollen wissen, wie sich ihr Präsident in diesen Affärenzeiten schlägt. Wobei, und das macht bereits das Grußwort des "Zeit"-Geschäftsführers Rainer Esser klar, sich Wulff gar nicht schlagen muss. Schon Esser legt den Ton auf Nachsicht und Vergebung, er charakterisiert den Bundespräsidenten als Schwiegermüttertraum, er könne halt nicht "die eierlegende Wollmilchsau mit Heiligenschein" sein, wie es viele von ihm erwarten. Dafür fängt sich Esser einen Zwischenruf ein. "Das ist ja unerträglich", ruft eine Dame zur Bühne. Aber Esser spricht unverdrossen weiter und lobt sogar Wulffs Sparanstrengungen als niedersächsischer Ministerpräsident. Er habe das Weihnachtsgeld der Beamten gekürzt, sogar sein eigenes, und da müssen viele im Publikum doch laut lachen. Wozu braucht ein Gratisurlauber auch schon das Weihnachtsgeld.

Joffe, der nun mit Wulff auf der Bühne Platz genommen hat - zwei Stühle, ein Glastisch, zwei Glas Wasser, es ist eine minimalistische Inszenierung - fährt auf Essers Gleisen schwungvoll weiter. Dies sei die 50. Matinee seit Gründung der Gesprächsreihe, sagt Joffe, die erste habe Joschka Fischer absolviert, und der ließe sich in diesen Tagen mit den Sätzen zitieren: "Ich habe mein Leben so geführt, dass ich den hohen moralischen Standards, die neuerdings an öffentliche Ämter durch die Medien angelegt werden, nicht mehr gerecht werde. Demnächst wird der Bundespräsident über das Wasser wandeln müssen und dann wird man ihn fragen, ob er am Ende den Erwerb dieser Fähigkeit sich nicht hat subventionieren lassen." Absolution auch von Fischer, eigentlich hätte Joffe gar nicht ergänzen müssen, dass dieses Gespräch kein "Verhör" sein werde. Wulff, dunkelblauer Anzug, blütenweißes Hemd, hellblaue Krawatte, wirkt schon ganz entspannt. Er ist hier nicht unter Kritikern, von einzelnen Zuhörern abgesehen, er ist unter Freunden: seinen Kumpels von der "Zeit".

Ein voller Terminkalender

Was der 11. Bundespräsident, also der Nachfolger Wulffs, wohl über den 10. Präsidenten sagen werde, will Joffe wissen. Wulff korrigiert lächelnd, er werde wohl eine "Bundespräsidentin" sein. Und er hoffe, dass über ihn gesagt werde, er habe das Land weltoffener gemacht und die Integration vorangetrieben. Das ist das Leitmotiv der "bunten Republik", das Wulff schon in seiner Antrittsrede intoniert hatte, es ist altbekannt, aber an diesem Sonntag haben seine Worte noch eine andere Bewandtnis. Sie bedeuten: Ich stehe hier, ich weiche nicht, ich habe eine Aufgabe. Im weiteren Verlauf des Gesprächs wird der Präsident noch anmerken, dass er im Mai in Holland auftreten werde, der Terminkalender reicht weit in die Zukunft, und Wulff will ihn einhalten.

"Die Fehler, die ich gemacht habe, für die habe ich mich entschuldigt", sagt Wulff. "Das war der Anruf auf der Mailbox von Herrn Diekmann, das war, dass ich nicht gleich volle Transparenz hergestellt habe". Mehr war nicht, und es sei auch nicht sinnvoll, von mehr zu sprechen, legt der Bundespräsident nahe. Denn die "übertriebene Auflösung der Privatsphäre" würde verhindern, dass sich junge Menschen für die Politik engagieren wollten. Das erregt auch das Mitleid Joffes, der nun zur Geißelung des Journalismus übergeht und seufzt: "Es gibt ja im Gerichtssaal der Medien kein Ende des Prozesses." Nichtigkeiten würden aufgeblasen, und er frage sich, ob der Bundespräsident nicht manchmal Lust hätte, eine Rede zu halten und am Ende zu rufen: Jetzt reicht's. Ich gehe.

Och, macht doch weiter

Wulff erklärt, dass er noch nie vor Herausforderungen zurückgeschreckt sei, es ist ein Standardsatz aus dem Repertoire bedrängter Politiker. Und er nutzt den Ball, den ihm Joffe vors Tor gelegt hat, um einen Elfer für die Pressefreiheit zu verwandeln. Es sei ein "ernster Vorgang", dass seine niedersächsische Landesregierung dem Parlament beschieden habe, in den "Nord-Süd-Dialog" des Partykönigs Manfred Schmidt sei kein Steuergeld geflossen. Das müsse möglicherweise korrigiert werden. Er jedenfalls, Wulff, neige nicht dazu, den Medien die Verantwortung zuzuschieben. An anderer Stelle hatte der Präsident schon gesagt, dass die freie Presse ein "Glücksfall" für das Land sei. Soweit muss es in einem Gespräch erst mal kommen - dass ein Journalist seinen Berufsstand herunterputzt und der Kopf der Affäre dem Journalisten auf die Schulter klopft und sagt: Och, macht ruhig weiter. Das gehört doch zur Demokratie.

Wulff sagt: "Man kann ja auch mal ins Straucheln kommen, aber man muss danach wieder aufstehen." Wulff sagt auch, er müsse bestimmte Stellen seines Verhaltens neu justieren. Er nennt seinen ehemaligen Sprecher Olaf Glaeseker einen Freund, und betont, auch für Glaeseker gelte zunächst die Unschuldsvermutung. Es ist Sonntag, der 22. Januar, es ist der erste Tag, an dem die Umfragen signalisieren, dass die meisten Bürger einen Rücktritt Wulffs befürworten. Sollte er tatsächlich gehen, müsste es Joffe auch tun.

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