Es sieht nicht gut aus für die CDU derzeit: Die Umfragewerte sind schlecht, es gibt Streit über das konservative Profil. Da können die Worte eines verdienten Altkanzlers aus den eigenen Reihen Wunder bewirken - und genau das versuchte Helmut Kohl mit seiner Rede. Der langjährige CDU-Vorsitzende wirkte gesundheitlich angeschlagen, als er auf einer Feierstunde der CDU zur Erinnerung an den Vereinigungsparteitag der Ost- und West-Partei vor 20 Jahren auftrat. Doch Kohl ließ es sich nicht nehmen, seiner Partei Mut zuzusprechen.
"Lassen wir uns doch nicht einreden, dass unser Wählerpotenzial schwindet. Das Volk ist unser Potenzial", sagte Kohl. Die CDU sei kein Auslaufmodell, sie bleibe vielmehr ein Zukunftsmodell, sagte Kohl, dem das Reden schwer fiel. Seine Partei dürfe sich auch nicht einreden lassen, dass konservativ und fortschrittlich Gegensätze seien. Das Gegenteil sei wahr: "Konservativ und fortschrittlich sind zwei Seiten einer Medaille."
Es sei immer die CDU gewesen, die in den entscheidenden Stunden der Bundesrepublik in Regierungsverantwortung die Weichen für das Land richtig gestellt habe. Es sei die CDU gewesen, die vor 20 Jahren die friedliche Revolution in der DDR als historische Chance begriffen und die Wiedervereinigung des Landes möglich gemacht habe. Auch nach 20 Jahren konnte Kohl sich einen Angriff auf die anderen Parteien nicht verkneifen: SPD und Grüne hätten vor 20 Jahren "in historischer Stunde versagt". Die CDU ist und bleibe eine Volkspartei. Sie sei offen für alle Menschen in allen Schichten und Gruppierungen des Landes.
CDU dürfe nicht beliebig werden
Der Altkanzler richtete aber auch mahnende Worte an seine Parteifreunde: Die CDU dürfe nicht beliebig werden. Er sei skeptisch, wenn er sehe, wie die Tagespolitik zunehmend das Programm bestimme und Positionen immer kürzere Gültigkeit hätten, sagte Kohl. Die Partei dürfe sich nicht von den Menschen entfremden. Sie müsse Entscheidungen verantwortungsbewusst treffen, an Grundwerten festhalten und erkennbar sie selbst bleiben.
Außerdem warnte Kohl eindringlich vor einer Spaltung der Gesellschaft. Er beobachte mit zunehmender Sorge, dass sich die Gesellschaft in Arme und Reiche aufteile, Gebildete und Ungebildete, Akademiker und Nicht-Akademiker, Facharbeiter und Ungelernte, Arbeitende und Arbeitslose, Leistungsträger und Hartz-IV-Empfänger sowie Nicht-Deutsche und Deutsche, sagte der Altkanzler. Die Aufzählung ließe sich noch fortsetzen. Der gesellschaftliche Konsens drohe, in wichtigen Fragen verloren zu gehen. Als Schlüssel, um diese Entwicklung aufzuhalten, nannte Kohl die Bildung. Zum Wesen der Demokratie gehörten mündige Bürger. Mündig könne aber nur sein, wer ein Mindestmaß an Bildung habe.
Die Kritik am Regierungskurs von Kanzlerin Angela Merkel blieb allerdings nicht aus. Kohl äußerte sich skeptisch zu den Plänen, die Wehrpflicht auszusetzen. Er könne nicht erkennen, "dass sich die Welt in den vergangenen Jahren so sehr verändert hat, dass die Wehrpflicht nicht mehr möglich sein soll", sagte der Altkanzler. Er habe die Wehrpflicht immer aus Überzeugung vertreten und auch in den Verhandlungen zur deutschen Einheit daran festgehalten. Es sei gut, dass die Union vor einer Entscheidung über dieses Kernthema gründlich diskutieren wolle, sagte Kohl mit Blick auf die anstehenden Regionalkonferenzen von CDU und CSU.