Berlin-Hellersdorf am Mittwochabend. PDS-Land. Draußen regnet es, drinnen, im Neonlicht, wird Politik gemacht. Marina trägt Jeans, eine ärmellose Jacke, sie ist um die vierzig. Sie wirkt wie eine resolute Frau, eine, die aussieht, als könnte sie zupacken. In Marzahn-Hellersdorf leitet sie den Wahlkampf. Für die PDS. Den ganzen Abend schon hat sie sich angehört, was die anderen erzählt haben - die von der WASG. Von "Offenheit" war da die Rede, von "Gemeinsamkeiten", von "Zusammenarbeit" und von "Erwartungen". Zu acht sind sie hierher gekommen, in den Osten. Von der PDS sitzen zwölf Vertreter am Tisch. Ganz vorsichtig haben sie formuliert, die WASGler, um ja nicht zu reizen, ja nicht zu provozieren. Es ist ein Kennenlern-Abend. Eigentlich.
Lange hat Marina sie reden lassen, sie und die Genossen. Alles hat sie sich aufgeschrieben, Beiträge Wort für Wort in ihr DIN-A-4-Buch notiert. Dann hat sie genug von den salbungsvollen Worten. Sie will Tacheles reden. "Wir sind nicht der Landesverband, der diese Fusion erfunden hat", sagt die PDS-Frau aus dem Landesverband Berlin. "Aber wir sind klug genug, diese historische Chance zu nutzen." Sie hätte auch sagen können: In der Not frisst der Teufel Fliegen. Oder: In der Not schlucke ich sogar die Kröte WASG. Aber verschont mich - bitte, bitte - mit diesem Gesülze.
10400 PDS-Mitglieder gegen 580 WASGler
Die historische Chance. Der Bundestag. Die zwölf Prozent in den Umfragen. Eine starke Linke. Es sind die Aussichten, das große Ganze, die aus den ungleichen Parteien, aus PDS und WASG, Partner gemacht haben - oder, besser: ein Zweckbündnis. Der atemberaubende Erfolg in den Umfragen hat auch die letzten Zweifler überzeugt, zeitweise zumindest. Sogar eine Fusion ist geplant. Langfristig. Alles soll ganz toll werden, ganz harmonisch - und wahnsinnig erfolgreich.
In Berlin ist das anders. Ausgerechnet in der symbolträchtigen Hauptstadt, ausgerechnet dort, wo West und Ost zusammentreffen, schaffen es PDS und WASG nicht einmal, den Schein der Harmonie zu wahren. 10.400 Mitglieder hat die PDS, 580 hat die WASG. Und es scheint so, als wären sie sich allesamt spinnefeind. Nur im Wahlkampf, da müssen sie die Kluft irgendwie überdecken, bis zum 18. September. Berlin soll nicht als Menetekel gelten für das künftige Verhältnis der beiden linken Parteien im Bund. Wenn die's schon in Berlin nicht gebacken kriegen, wie soll's dann im Bund klappen? Zumindest auf Achtungserfolge in Sachen Harmonie wollen die Berliner da verweisen können.
Die "Gurkentruppe" von der WASG
Aber schon der Achtungserfolg ist eine echte Herausforderung, denn bisher haben beide Seiten in der Hauptsstadt eigentlich keine Chance ausgelassen, dem anderen einen mitzugeben. Der Berliner PDS-Chef Stefan Liebich etwa bezeichnete die WASG öffentlich als "Gurkentruppe", im Gegenzug haben WASGler im vergangenen Jahr eine Unterschriftenaktion unterstützt, die die Abwahl des rot-roten Senats forderte. Im kommenden Jahr will die WASG zudem bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus antreten - gegen die PDS. Das ist ein Affront. Freunde macht man sich so keine. Dabei ist es eigentlich nicht so, dass sie sich fremd wären, dass sie sich nicht kennen würden, die von der WASG und die von der PDS. Es ist keine Zwangsehe, in der Unbekannte in ein Bett steigen müssen. Es ist viel schlimmer: Sie kennen sich nur zu gut. Von früher.
Die Ex-Genossin aus Reinickendorf
Von früher, als viele WASGler noch selbst in der PDS waren; von früher, als viele der linken Gewerkschafter, die sich jetzt in der WASG tummeln, die PDS als einzige Alternative zur SPD sahen. Auch Renate Herranen, Erzieherin und GEW-Aktivistin, war früher bei der PDS. Erfolgreich. 2001 wurde sie in Reinickendorf als einzige PDS-Vertreterin in die Bezirksverordnetenversammlung gewählt. Um so mehr schmerzte es die PDS, als Herranen die Partei 2003 mit großem Tamtam verließ. Der Kurs der rot-roten Berliner Regierungskoalition widerstrebte ihr.
Die haben die Kita-Gebühren erhöht, sagt Herranen. So sei das nicht ausgemacht gewesen. Aus der Partei trat sie aus, ihr Mandat in Reinickendorf behielt sie jedoch, seitdem arbeitet sie eben allein. Auch so etwas kommt gar nicht gut bei den Genossen. So etwas hinterlässt verbrannte Erde.

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An diesem Abend in Hellersdorf ist die 50-Jährige wieder da - auf der Seite der WASG-Vertreter. Es ist ein bisschen so, als würde sich Oskar Lafontaine bei Schröders zum Dinner einladen - und um den Schlüssel zum Kanzleramt bitten.
Bittsteller in Sachen Bundestagsmandat
Denn Herranen ist an diesem Abend nicht nur zum "Kennenlernen" in den Osten gekommen, nicht nur dazu, um Info-Stände zu besprechen oder Plakate oder gemeinsame Veranstaltungen. Es geht ihr auch, ganz platt, um Posten. Zwölf Prozent hat das Linksbündnis im Umfragen bundesweit. Da gibt es was zu verteilen - Macht, Mandate. Herranen ist in Berlin die Nummer eins der WASG. Jetzt hat sie Ansprüche - auch gegenüber der PDS. Das wissen auch die Hellersdorfer.
In den meisten Bundesländern stehen die Kandidatenlisten der Linkspartei schon fest, an diesem Samstag sind die Berliner dran. Auch sie haben eine "offene Liste". Offizielle Absprachen darf es keine geben, das verbietet der Bundeswahlleiter, aber das informelle Abkommen der Bündnispartner besagt, dass die Linkspartei auch Kandidaten der WASG berücksichtigen muss.
Die WASG macht es ihnen schwer. In Berlin schlägt sie nun ausgerechnet Herranen vor - in den Augen der PDS eine Provokation. Der zweite Mann auf dem WASG-Ticket heißt Ralf Krämer - auch er ist Gewerkschafter, auch er ist ein ehemaliges PDS-Mitglied. Die Wahl-Arithmetik ist recht einfach. Vier Plätze gelten in Berlin als "sicher" oder "aussichtsreich", zumindest einen davon will die WASG haben. "Wir haben den Anspruch, dass zumindest einer von uns auf einen Listenplatz kommt, der nicht aussichtslos ist", fordert einer der ihren bei dem Treffen in Hellersdorf. Mehr als bitten können sie nicht. Sie schicken keine Delegierten zu der Konferenz am Samstag, sie sind auf das Wohlwollen der anderen angewiesen. Darum werben sie. Auch an diesem Abend. Mit wenig Erfolg.
WASG-Kandidat auf aussichtsloser Position
Der Berliner PDS scheint die allgemeine Bündnis-Räson herzlich egal zu sein. Am Mittwochmittag hat der Parteivorstand seine Favoriten-Liste vorgestellt. Die WASG kommt darauf erst ganz weit hinten ins Spiel, eigentlich auf einem aussichtslosen Platz. Nummer eins ist Gregor Gysi, Nummer zwei ist Petra Pau, Nummer drei ist Gesine Lötzsch. Gysi ist der Star, die beiden Vertrauen sind seit 2002 die einzigen PDS-Abgeordneten im Bundestag. Da brennt nichts an. Auf den vierten Platz hat der Berliner Parteivorstand einen Parteilosen gesetzt: Hakki Keskin, den Vorsitzenden der Türkischen Gemeinde in Deutschland. Dieser war früher in der SPD, jetzt hat Parteichef Lothar Bisky auf diese Platzierung gedrungen. Erfolgreich. Auf den Plätzen fünf und sechs geht es mit zwei PDS-Kandidaten weiter. Erst Platz sieben hat die PDS für die WASG reserviert - für den 45-jährigen Krämer. Herranen, die eigentliche WASG-Spitzenfrau, geht leer aus. Stefan Liebich, der PDS-Chef, zeigte sich bei der Vorstellung der Liste am Mittwoch unerbittlich. Weshalb, fragte er, solle man jemanden dafür belohnen, dass er der PDS den Rücken gekehrt habe. Das sei schwer zu vermitteln, sagte Liebich. Basta.
Kampfkandidatur um Platz vier
Drei, zwei, eins - Bundestag? Von wegen. Eigentlich haben die WASG-Favoriten in Berlin keine Chance. In Hellersdorf geben die WASGler an diesem Abend dennoch nicht auf. Sie verweisen darauf, dass sie die Kandidaturen von Pau und Lötzsch hochoffiziell unterstützt haben - so, als ob sie jetzt eine Gegenleistung erwarteten. Herranen berichtet von der guten Zusammenarbeit zwischen ihr und der PDS in Reinickendorf. Es gibt Leute, die haben mir verziehen, soll das heißen. Immer wieder schießen sich die WASG-Vertreter zudem auf Hakki Keskin ein - den SPD-Flüchtling aus Hamburg, der für Platz vier der Berliner Liste vorgesehen ist. Der Vorsitzende der "Türkischen Gemeinde in Deutschland" sei nicht mal ein richtiger Linker, heißt es. Er verteidige die türkische Regierung, habe keine klare Haltung zum Völkermord an den Armeniern. Er sei nicht akzeptabel. Sie wollen ihn kippen. Herranen sagt, dass sie auf jeden Fall gegen ihn antreten wird. Wenn es um Platz vier geht am Samstag, springt sie in die Bütt. Chancen hat sie kaum. Es wäre eine Überraschung, wenn die Delegierten gegen den Vorschlag der Vorstands stimmen würden. Sie würden ihn düpieren. Dennoch rafft sich irgendwann im Laufe des Abends einer von der PDS auf, den WASG-Kollegen Mut zu machen. Es werde viel auf die Reden der Kandidaten ankommen, sagt er. Da könne sich durchaus noch etwas bewegen. Auch er sei am Samstag Delegierter, sagt er - um dann einzuschränken: "Ich werde für Sachkompetenz stimmen, nicht für irgendeine WASG-Liste." Zu frisch sind offenbar die Wunden, die die alten neuen Freunde von der WASG ihren ehemaligen Genossen geschlagen haben, zu tief, als dass sie jetzt mit Gnade rechnen könnten. Drei, zwei, eins - Bundestag? In Berlin geht diese Logik für die WASG kaum auf. Da hilft auch die historische Chance nichts.