Rote-Socken-Kampagne Warum die CDU-Kritik an Scholz so bigott ist

SPD-Spitzenkandidat Olaf Scholz
Die CDU wird nicht müde, vor einer rot-rot-grünen Koalition zu warnen: Fast stündlich wird der SPD-Spitzenkandidat Olaf Scholz aufgefordert, ein Zusammengehen mit der Linken kategorisch auszuschließen.
© Morris MacMatzen / Getty Images
Die CDU arbeitet sich an SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz ab. Kein Tag vergeht, ohne dass der nicht aufgefordert wird, einer rot-rot-grünen Koalition abzuschwören. Dabei wissen die Unionspolitiker ganz genau, warum Scholz einen Teufel tun wird.

Jetzt also auch die Kanzlerin. Bei einer Pressekonferenz in Berlin ging sie demonstrativ auf Distanz zu ihrem Vizekanzler Olaf Scholz. "Wenn man sozusagen sich auf mich beruft (gibt) es einen Unterschied. Mit mir als Bundeskanzlerin würde es nie eine Koalition geben, an der die Linke beteiligt ist". Hier bestehe "ein gewaltiger Unterschied für die Zukunft Deutschlands zwischen mir und ihm", so Merkel.

Glaubt man den eindringlichen Warnungen von Markus Söder, Armin Laschet und nun auch Angela Merkel, geht ein Gespenst um in Deutschland. Das Gespenst einer rot-rot-grünen-Koalition nach der Bundestagswahl am 26. September. Fast stündlich wird der SPD-Spitzenkandidat Olaf Scholz aufgefordert, ein Zusammengehen mit der Linken kategorisch auszuschließen. Doch der grinst nur sein "schlumpfiges" Grinsen (Markus Söder) und weigert sich beharrlich, die "drei Worte" (Armin Laschet) "ich mache es nicht" auszusprechen.

Rote-Socken-Kampagne die letzte Patrone der CDU

Die ganze Debatte ist natürlich nur ein Scheingefecht. Die letzte Patrone der CDU. Denn seit 1994 gibt es in Wahlkampfzeiten einen immer wieder aufflackernden Modetrend in der Union, wenn es eng wird: Die roten Socken werden hervorgekramt.

Erfunden hatte den Slogan einst der inzwischen verstorbene CDU-Generalsekretär Peter Hintze. "Auf in die Zukunft … aber nicht auf roten Socken" ließ er im Bundestagswahlkampf 1994 plakatieren. Und unterstellte damit der SPD, sie plane auch im Bund die Zusammenarbeit mit der PDS, so wie zuvor in Sachsen-Anhalt, wo der SPD-Mann Reinhold Höppner eine rot-grüne Minderheitsregierung geschmiedet hatte, die von der SED-Nachfolgepartei PDS toleriert wurde.

Allein, dass die Union auch im Wahlkampf 2021 wieder zur Beinkleidung greift, dokumentiert ihre schludrige Kampagnenplanung. Mit Scholz als Gegner hatte in Wahrheit niemand gerechnet, Hauptrivale schienen die Grünen um Annalena Baerbock. Stattdessen müssen die Unionsstrategen hilflos zusehen, wie sich Olaf Scholz unverhohlen als Erbe der amtierenden Kanzlerin in Szene setzt, auf dem Cover des SZ-Magazins, wo einst Peer Steinbrück den Wählern den Stinkefinger zeigte, treuherzig die Merkel-Raute formt. Das kann schon an den Nerven zehren.

Und so versucht man jetzt also, den SPD-Kandidaten als "Vehikel" von geheimnisvollen linken Parteikräften wie Saskia Esken und Kevin Kühnert hinzustellen, der seiner endgültigen Verdammnis nur durch Abschwören einer rot-rot-grünen Koalition entgehen kann. Dabei wissen Polit-Profis wie CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak nur allzu gut, dass Scholz vier Wochen vor der Bundestagswahl, wo laut Umfragen rechnerisch fünf Koalitionen möglich sind, nichts ausschließen wird, weil er damit einen strategischen Faustpfand aus der Hand gäbe. In etwaigen Koalitionsverhandlungen könnte er die möglichen Partner CDU und FDP jederzeit unter Druck setzen, nach dem Motto: "Wenn ihr keine Zugeständnisse macht, mach' ich's halt mit den Linken."

Der zweite Grund für Scholz' beharrliche Weigerung, dem rot-roten-Gespenst abzuschwören, ist ein Parteitagsbeschluss der SPD aus dem Jahr 2013. Damals, im allgemeinen Gemurre über den Eintritt in eine Große Koalition, verpflichtete sich die Partei und ihre Führung, für die Zukunft keine Koalition grundsätzlich auszuschließen – mit Ausnahme von rechtspopulistischen oder -extremen Parteien. Hinter diese Linie kann Scholz nicht zurück, so viel Beinfreiheit hat er tatsächlich nicht.

Parteitagsbeschluss engt Scholz' Beinfreiheit ein

Doch noch aus einem anderen Grund ist die CDU-Attacke nicht mehr als eine heuchlerische Inszenierung. Denn so, wie die SPD an ihrer linken Flanke angreifbar ist, so trüb sieht es bei der Union in manchen Ecken am rechten Rand aus. Zugestanden: Eine Koalition mit der Gauland-Höcke-Weidel-AfD, dafür reicht selbst die Phantasie von Linken-Chefin Janine Wissler vermutlich nicht aus. Aber man erinnere sich bloß an die Skandal-Wahl des FDP-Manns Thomas Kemmerich in Thüringen im März 2020. Damals ließ sich die Landes-CDU auf ein unwürdiges taktisches Geplänkel mit den Rechtsextremen ein, um den Linken Bodo Ramelow als Ministerpräsident zu verhindern. Ein Sündenfall, der mit einem Merkel-Machtwort rückgängig gemacht werden musste und der damaligen Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer den Vorsitz kostete. Auch in Sachsen-Anhalt musste Parteichef Rainer Haseloff jüngst seine ganze Autorität aufbringen und seinen Innenminister Holger Stahlknecht aus dem Kabinett schmeißen, weil der in einem Interview die Bereitschaft erkennen ließ, eine etwaige CDU-Minderheitsregierung von der AfD tolerieren zu lassen.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Erneut in Thüringen, im Wahlreis 196 (Suhl, Schmalkalden-Meiningen, Hildburghausen, Sonneberg), lässt es die CDU gerade zu, dass der ehemalige Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen für sie um ein Bundestagsmandat kämpft. Jener Maaßen, der aus seiner Sympathie für Gedankengut hart an der rechtsextremen Grenze nie einen Hehl gemacht hat. Sowieso hatte die Union nie ein Problem damit, ultranationale Abgeordnete wie etwa die langjährige Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach, in ihren Reihen zu dulden.

Bigott, heuchlerisch und auch aus der Zeit gefallen, so wirkt die Rote-Socken-Kampagne in diesen Tagen. Denn tatsächlich, und das wissen natürlich auch die Strategen aus dem Laschet-Lager, sind die fundamentalen Glaubenssätze von einst inzwischen passé, die Grenzen zwischen den Lagern längst durchlässig geworden. Die Gesellschaft ist viel differenzierter geworden, sagte unlängst auch der ehemalige CDU/CSU-Kanzlerkandidat Edmund Stoiber in der SZ und räumte ein: "So einen Wahlkampf mit 'Freiheit oder Sozialismus' könnten wir heute nicht mehr führen."

Scheint so, als sei die Botschaft bei Armin Laschet und Co. noch nicht wirklich angekommen.