Linksfraktion aufgelöst Ein Mann, kein Auto: Was wird aus dem Dietmar Bartsch sein Fahrer?

Thorsten Zopf und Dietmar Bartsch im Auto
Vertauschte Rollen: Linken-Politiker Dietmar Bartsch am Steuer, neben ihm sein Fahrer Thorsten Zopf
© Instagram dem_dietmar_sein_fahrer
Acht Jahre lang war Thorsten Zopf Chefkraftfahrer von Dietmar Bartsch. Jetzt ist die Linksfraktion Geschichte und Zopf seine Stelle los. Besuch bei einem Mann, der weder Beruf noch Partei aufgeben will.

Die letzte Fahrt war noch einmal eine Herausforderung. Das miese Wetter, der viele Verkehr. Da war volle Konzentration gefragt. "Ham wir aber jut umschifft", sagt Thorsten Zopf. Sie seien pünktlich gewesen – trotz allem. 

Einen Tag später ist die Bundestagsfraktion der Linken Geschichte, aber das Schild hängt noch neben Tür. Jakob-Kaiser-Haus, Raum 3835, Thorsten Zopf, Chefkraftfahrer. Einmal klopfen, freundliches Herein, wichtigste Frage zuerst: Wie geht’s Ihnen? 

"Wie sollet schon gehen?", sagt Zopf, 56, warmes Lächeln, sanfte Stimme. "Ist ja alles irgendwie surreal." 

Er bietet Wasser an, nimmt sich selbst auch eine Flasche. Dann schaut er auf die Getränkekiste in der Ecke des Büros und schüttelt den Kopf. "Det muss ja auch alles weg."

Zopf hat diesen Nikolausmorgen am Schreibtisch verbracht. Er hat zum letzten Mal seine Arbeitszeiten eingetragen, zum letzten Mal Reise- und Spritkosten abgerechnet. "Muss ja alles stimmen", sagt Zopf. Danach hat er die Tank-Karte weggeschlossen. Die sei jetzt sowieso ungültig, sagt er.

Drei Fragen an den ehemaligen Cheffahrer der Linksfraktion
Der Cheffahrer der Linksfraktion – Thorsten Zopf – erzählt im Interview, wie es nach der Auflösung der Linksfraktion für ihn weitergeht und wie er die Spaltung der Linken erlebt.
So denkt der ehemalige Cheffahrer über die Auflösung der Linksfraktion
© Foto: Instagram / dem_dietmar_sein_fahrer

Zopfs alter Arbeitsplatz parkt ein paar Etagen tiefer. Ein Audi A8, 250 PS, außen schwarz, innen bequem. "Der steht in der Tiefgarage und wärmt sich", sagt Zopf. "Und aus dem Fahrer wird jetzt erstmal ein Fußjänger." 

Er sagt das mit einem Lachen. Aber nicht nur die drei Audi-Modellautos auf dem Schrank hinter ihm zeugen davon, wie schwer Zopf das fallen muss. Er mag seinen Beruf. Die langen Fahrten, die vielen Begegnungen, die guten Gespräche mit dem Chef. 

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Das alles ist nun vorbei. Vorerst zumindest.

War die Spaltung zu verhindern?

Am Tag vor dem Aus sei viel Wehmut dabei gewesen, sagt Zopf. Seit 2015 hat er Dietmar Bartsch gefahren, oft morgens viel zu früh los oder abends viel zu spät heim. Bis Dienstagabend 24 Uhr war Bartsch Fraktionsvorsitzender, jetzt ist er einfacher Einzelabgeordneter. Ein Büro hat er noch, einen Fahrer nicht mehr. 

Zopfs Vertrag läuft noch bis Ende März. Für die Abgeordneten arbeiten darf er nicht mehr. Auch für Bartsch nicht. Die Fraktion Die Linke, bei der er angestellt war, wird abgewickelt. Weil Sahra Wagenknecht ihre eigene Partei gründen will, muss sich Thorsten Zopf einen neuen Job suchen. Linke Politik kann manchmal ganz schön unsolidarisch sein. 

Manche bei der Rest-Linken hoffen nun auf den Befreiungsschlag. Ohne Wagenknecht, so die Theorie, könne man endlich wieder durchstarten. Für Zopf und die anderen 107 Mitarbeiter der Fraktion aber heißt es nun ganz praktisch: einpacken, ausräumen, auf Wiedersehen! 

"Es hätte vielleicht nicht so kommen müssen", sagt Zopf. War die Spaltung zu verhindern? Er seufzt. Die Frage beschäftigt ihn. 

Vor zwei Jahren ist in der "Süddeutsche Zeitung" ein Porträt über Cheffahrer Zopf erschienen, eine ganze Seite Drei, sie hängt eingerahmt in seinem Büro. Die SZ nannte ihn "den Mann im Getriebe", weil er wie viele andere Tausend Mitarbeiter im Hintergrund dafür sorgt, dass die Politikfabrik läuft. 

"Kopf Hoch, nicht die Hände"

Die letzte Tour ging nach Hagenow in Mecklenburg-Vorpommern. Ausgerechnet. Damals, vor acht Jahren, führte die zweite gemeinsame Fahrt Zopf und Bartsch auch dorthin. Seitdem haben sie die Genossen jedes Jahr zum Adventskaffee besucht. Kein Termin wie jeder andere.

"Man grübelt denn so in sich rein", sagt Zopf. "Die Strecke hier: Wie oft biste die gefahren? Wat haste hier erlebt?"

Auf der letzten Fahrt sei es meist ruhig gewesen im Auto, zwischen ihm und dem Dietmar. "Und wenn man sich dann unterhält, sagt man: Et muss ja irgendwie weitergehen. Und et wird irgendwie weitergehen." Zopf hat seine Linke noch nicht aufgegeben. "Das muss det Credo von der Partei sein und ooch von uns Mitarbeitern: Kopf hoch, nicht die Hände!"

Den Spruch zitiert Zopf jetzt oft. Er stammt von seinem ersten Chef bei der Linken, damals noch PDS. Lothar Bisky ist seit zehn Jahren tot, doch wenn Zopf am Schreibtisch sitzt, schaut der ihm von einem Foto an der Wand mit sanftem Blick über die Schulter. Dann und wann schaut Zopf zu ihm auf.

Bisky habe ihm von seinem Freund Fausto Bertinotti erzählt, einem italienischen Ex-Kommunisten, der einige Jahre Vorsitzender der Europäischen Linkspartei war. Der habe das ja auch erlebt: Die Linke in Italien hat sich gespalten, die in Griechenland auch. "Und wir haben immer davor gewarnt", sagt Zopf. 

Am Ende warnten sie vergeblich. Jetzt gilt auch für Deutschland, was anderswo in Europa längst Realität ist. Die extreme Rechte wird immer stärker. Und die Linke fällt auseinander. "Det können wir doch nicht so hinnehmen. Det is doch alles Käse", sagt Zopf. Im vergangenen Jahr ist sein Vater gestorben. "Wenn der noch am Leben wäre, der hätte es nicht verstanden." Vielen älteren Genossen gehe es jetzt so. "Für die bricht eine Welt zusammen".

Fast wäre Zopf Jagdflieger geworden

Zopf wuchs in Berlin-Friedrichshain auf. Der Berliner Dialekt ist nicht zu überhören, er lässt sich gerne originalgetreu zitieren. "Ick red ja so." Seine Stiefmutter war Lehrerin, der Vater, tatsächlich: Chauffeur. Er fuhr einen Abteilungsleiter von Günter Mittag, im Politbüro der SED zuständig für die Planwirtschaft der DDR. Die Wende erlebte Zopf an der Offiziersschule der Nationalen Volksarmee in Bautzen. Jagdflieger sollte er werden. Es kam dann anders. 

Mit 22 musste Zopf neu anfangen. Mehr als zehn Jahre fuhr er für eine Sicherheitsfirma Geld durch Brandenburg. Später, zurück in Berlin, bewarb er sich bei der PDS. Bartsch, damals Bundesgeschäftsführer, fand ihn gut. Zopf bekam den Job. 

Von 2006 bis 2015 chauffierte er die Parteivorsitzenden, erst Bisky, dann Gesine Lötzsch. Ihr Buch "Immer schön auf Augenhöhe" liegt jetzt vor Zopf auf dem Schreibtisch, er hat es beim Aufräumen gefunden. Lötzsch hat ihm darin einen Absatz gewidmet. Es geht um den 4. Oktober 1957. Was ist an dem Tag passiert? Diese Frage hat Lötzsch gerne Schülerinnen und Studenten gestellt. Selten wusste jemand die richtige Antwort. Zopf, der Beinahe-Pilot und Raumfahrt-Enthusiast, kannte sie natürlich: An diesem Tag schossen die Sowjets Sputnik 1 ins All, den ersten Satelliten. 

Das Büro von Gesine Lötzsch ist nur ein paar Türen weiter. "Sie leidet nun ein Stück weit mit mir, wenn sie mich sieht", sagt Zopf. Von anderen Abgeordneten hätte er sich mehr Solidarität gewünscht. 

Zopf hat sich das Büro mit dem Fahrer von Amira Mohamed Ali geteilt. Sie hat die Linke mit neun anderen verlassen und ist nun Vorsitzende von Wagenknechts Parteivorläuferorganisation BSW. Hat er ihren Fahrer mal gefragt habe, was das alles soll? Nein, sagt Zopf, das sei unter Fahrern nicht üblich. "Man fragt nicht: Wat macht die? Det jibts nicht." Was im Wagen besprochen wird, bleibt im Wagen. Chefkraftfahrer-Ehre. 

Wagenknecht? "Eine schlagfertige Frau"

Glaubt man Sahra Wagenknecht, ist Zopf mit seiner Biografie so ein Wählertyp, den die Linkspartei gar nicht mehr erreicht. Einer, der morgens früh aufsteht und sein Geld mit ehrlicher Arbeit verdient. Einer, der weiß, dass ein tadelloser Lebenslauf nicht vor dem Lauf des Lebens schützt. Und dass man kein Studium braucht, um aus der Welt schlau zu werden. 

Einer dieser "ganz normalen Leute" eben, für die Wagenknecht doch den ganzen Aufwand mit der neuen Partei betreibt. Sagt sie zumindest. In ihrem Bestseller "Die Selbstgerechten" wirft sie der Linken vor, die Arbeiterklasse zu verraten, weil sich vor allem um "Lifestyle-Themen" und "skurrile Minderheiten" kümmere. Gendern, LGBTQI-Rechte, solche Sachen. 

Zopf kann mit dem Vorwurf wenig anfangen. "Lifestyle-Themen? Wat soll det? Jeder kann doch nach seiner Façon leben. Ick hab damit überhaupt keen Problem." Die Partei habe vielleicht ein Stück weit verlernt, die sozialen Unterschiede zwischen Ost und West immer und immer wieder hervorzuheben. "Da hätten wir lauter werden können, sollen, müssen." 

Aber deshalb gleich spalten? Zopf winkt ab. Man habe doch sogar aus der Opposition heraus viel erreicht: die Praxisgebühr von zehn Euro wurde abgeschafft, der Mindestlohn eingeführt. "Wir müssen wieder lernen, das immer vor uns herzutragen: Wären wir nicht da gewesen, hätt’s das nicht gegeben."

Über Wagenknecht könne er nichts Negatives berichten, sagt Zopf. Er war nie ihr Fahrer, aber sie war früher als Co-Fraktionsvorsitzende auch seine Chefin. "Ick hab sie kennengelernt als eine ruhige und überlegte, aber auch als lustige und schlagfertige Frau." Warum sie jetzt ihr Projekt verfolge? "Nun ja, det hat ja Gründe." 

Wenn’s zur Scheidung komme, sagt Zopf, trage nie einer allein die Schuld. "Als Mitglied hätte ick mir von meiner Partei jewünscht, dass man die Tür zumacht, sich von mir aus anbrüllt, aber doch mal darüber nachdenkt, könnte der eine oder die andere recht gehabt haben." 

Dem Fahrer sein Dietmar

Auf seinen Neu-Ex-Chef Bartsch als Beifahrer muss Zopf nun verzichten. Seinen Dietmar aber kann ihm keiner nehmen. Ihr Verhältnis ist eher freundschaftlich als dienstlich. Sagt Bartsch. Und Zopf nickt energisch, wenn man ihn danach fragt. Weil der Fraktionschef noch keinen Account bei Instagram hatte und Zopf gerne fotografiert, hielten sie es im Büro Bartsch vor der Bundestagswahl 2017 für eine gute Idee, die Social-Media-Arbeit auf diesem Kanal doch gleich dem Fahrer zu überlassen. Dabei ist bis heute geblieben.

"Ick muss sagen, die haben mich da in wat jebracht, in so ein Abenteuer. Das hätte ick nie für möglich jehalten", sagt Zopf, verschränkt die Arme hinterm Kopf, lehnt sich zurück. Und für einen Moment lächelt er so zufrieden wie Bisky über ihm. 

Schon bei 100 Followern sei er glücklich gewesen, sagt Zopf, dann haben auch Politikerinnen anderer Parteien für ihn geworben, inzwischen folgen ihm knapp zehntausend Menschen. Zopf postet Fotos vom Audi. Fotos von Veranstaltungen. Fotos von Bartsch in verschiedensten Situation. Meist dienstlich, ab und an privat. 

Als Bartsch Mitte November beim Parteitag der Linken spricht, ist Zopf privat anderswo mit dem Auto unterwegs. "Gerade angehalten, um die Rede meines Chefs und Freundes zu hören", schreibt er auf Instagram. "Ja und ich habe Tränen in den Augen."

"Dem Dietmar sein Fahrer" heißt Zopfs Account. Das steht auch auf dem Rücken seines Trikots, wenn er zusammen mit Bartsch zum Heimspiel von Union Berlin in die Alte Försterei geht. Auf Bartschs Trikot steht: Dem Fahrer sein Dietmar.

 

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Es ist schwer, zu sagen, wer gerade weniger erfolgreich ist: die Linkspartei oder Union Berlin. Vielleicht gibt’s da ja eine Verbindung, sagt Zopf. "Union hat Pech am Schuh, wir haben Pech am Schuh." Aber er glaubt, es werde mit beiden schon wieder aufwärts gehen. Sein Saisonausblick: "Union schafft den Klassenerhalt und die Linke schafft es, 2025 wieder als Fraktion gestärkt dazustehen."

Zopf gibt die Hoffnung nicht auf

Bei Instagram bekommt Zopf in diesen Tagen viele Nachrichten: Wie sieht’s aus? Wie geht’s jetzt weiter? Die Solidarität tut ihm gut. "Det hilft." Aber wie es weitergeht, weiß er selbst nicht so genau. Im Januar wird er den A8 zurück zum Hersteller bringen. "Einen Tag vorher mach ick den noch schick." Ansonsten habe seine Frau sicher Ideen, was er nun mit der ungewollten Freizeit anfangen könne. Die zwei Kinder sind längst aus dem Haus. 

Zopf lässt sich seine Zuversicht nicht nehmen. Er hofft, dass die verbliebenen Abgeordneten der Linken nun schnell eine Gruppe bilden können. Dass diese Gruppe wie damals zu Bonner Zeiten auch einen Fahrer bekommt. "Und dass man sich an mich erinnert und sagt: Ja, det war ein guter Fahrer, der war solide."

Im besten Fall, sagt Zopf, sitzt er im kommenden Frühjahr lächelnd im Auto, neben ihm der oder die neue Gruppenvorsitzende. Sie machen ein Selfie und schreiben drunter: "Auf geht’s. Vorwärts!"