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Embryonale Stammzellen "Forschung verletzt die Menschenwürde"

Beibehalten, lockern oder verbieten: Der Bundestag entscheidet darüber, wie es mit der Stammzellenforschung weitergeht. Der FDP-Abgeordnete Konrad Schily sagt im Interview mit stern.de, warum er die embryonale Stammzellforschung gänzlich ablehnt.

Herr Schily, Sie sind völlig gegen die Forschung mit embryonalen Stammzellen. Warum?

Es geht dabei um eine moralische Frage und die Ehrfurcht vor dem Leben. Ich bin gegen die Zerstörung von Leben - und das passiert beim Verbrauch embryonaler Stammzellen. Die Forschung mit adulten, also erwachsenen Stammzellen beispielsweise aus Nabelschnurblut oder Fruchtwasser, wirft keine moralischen Bedenken auf. Für diese Forschung wird kein Embryo getötet oder verbraucht. Sie ist außerdem sehr viel aussichtsreicher.

Sie argumentieren mit ethischen Bedenken. Gibt es aber nicht auch die ethische Verantwortung, mit allen Mitteln nach Heilungschancen für Krankheiten zu suchen?

Nach allem, was wir wissen, sind die Heilungschancen mit adulten Stammzellen sehr viel größer. Alle Erfolge, die wir bisher haben, sind mit adulten Stammzellen gewonnen worden. Die Versprechung, Heilung über die embryonalen Stammzellen zu gewinnen, sind bisher einfach reine Versprechungen geblieben. Die tatsächliche Chance ist nicht abzuschätzen.

Muss Forschung nicht offen sein? Man kann ja vorher nicht wissen, ob und was bei Experimenten herauskommt. Vielleicht gelingt doch irgendwann der Durchbruch mit embryonalen Stammzellen. Behindert das komplette Verbot nicht die Grundlagenforschung?

Der Vergleich ist schwierig, aber ich wähle ihn trotzdem: Wenn Sie wissen, dass Sie über Folter Wahrheit erreichen können, werden Sie trotzdem die Folter nicht einsetzen, weil sie die Würde des Menschen verletzt. Auch die Forschung mit embryonalen Stammzellen verletzt die Menschenwürde.

Zur Person

Der am 7. November 1937 in Bochum geborene Konrad Schily sitzt seit 2005 im Bundestag. Er ist Facharzt für Neurologie und Psychiatrie. Schily ist Gründungspräsident der Privatuniversität Witten-Herdecke. Der Bruder des früheren Bundes-Innenministers Otto Schily ist Mitglied im Gesundheitsausschuss des Bundestages.

Die jetzt geltende Stichtagsregelung mit einem Datum der Zellgewinnung in der Vergangenheit garantiert doch aber, dass Embryos nicht zur Forschung hergestellt und getötet werden.

Dennoch ist es nur ein Behelf. Die Situation, die wir seit 2002 bei den Stammzellen haben, ist nur eine Ausflucht. Man hat damals gesagt: Was bisher geschehen ist, das erlauben wir jetzt einfach. Schon damals wurde aber davor gewarnt, dass dies auch ein zweites oder ein drittes Mal passieren wird. Das ist falsch und kann kein moralischer Gesichtspunkt sein!

Sie haben also nichts gegen den Zwang für die Wissenschaft, sich in diesem Forschungsbereich andere Wege suchen zu müssen?

Der Verbrauch embryonaler Stammzellen bleibt nur ein sehr unsicheres Versprechen in die Zukunft. Die Hoffnung auf einen Durchbruch ist durch nichts begründet. Der wissenschaftliche Fortschritt liegt absehbar im Bereich der adulten Stammzellen. Für mich überwiegen die moralischen Gesichtspunkte, die Ehrfurcht vor dem Leben, das nicht angetastet werden darf.

Weltweit wird mit embryonalen Stammzellen geforscht. Würde ein Verbot nicht die deutschen Wissenschaftler abhängen?

Auch das bisherige Verbot hat sie nicht abgehängt. Aus der Forschung mit adulten Stammzellen sind aus Deutschland ganz wesentliche Leistungen gekommen. Wenn ich richtig unterreichtet bin, liegt Deutschland dort bei den Veröffentlichungen an zweiter Stelle weltweit. Ich sehe keinen Nachteil. Es ist eben aus moralischer Sicht kein Argument, zu sagen: Die anderen achten das menschliche Leben nicht, deshalb müssen wir es auch nicht tun.

In dem von Ihnen unterstützten Antrag geht es auch um historische Bedenken, also die Erinnerung an die medizinischen Verbrechen der Nationalsozialisten beim Forschen an Menschen. Warum?

Die Dinge, die im Dritten Reich furchtbare Wirklichkeit geworden sind, wurden bereits lange vorher im Denken der Menschen vorbereitet. Es ist nicht alles plötzlich 1933 entstanden. Die ersten Gesetze zur Eugenik des Volkes, also die so genannte Erbgesundheitslehre, stammen aus dem Ende des 19. Jahrhunderts. Zur Jahrhundertwende ist eine Arbeit zur Eugenik des Volkes in Deutschland mit einem ersten wissenschaftlichen Preis ausgezeichnet worden. Es gibt also diese geschichtlichen Bezüge und es gilt auch heute noch, schon die Anfänge einer bedenklichen Forschung zu unterbinden.

Interview: Marcus Müller

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