Bratwürste liegen heute nicht auf dem Grill. Kein Schweinefleisch wird verkauft an den Essständen in der Kölnarena, denn hoher Staatsbesuch aus einem muslimischen Land steht ins Haus. Um die Rede des türkischen Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan zu hören, sind 16.000 überwiegend türkischstämmige Menschen in die Kölnarena gekommen. Sonst erinnert alles weniger an eine politische Kundgebung - mehr an ein Fußball-Länderspiel. Junge Männer haben sich die rote Landesfahne mit Stern und Halbmond um den Hals geknotet, andere tragen Popcorneimer und Getränke zu ihren Sitzplätzen. Eisverkäufer gehen durch die voll besetzten Ränge, alles wartet auf den Beginn der großen Show.
Kurdische Gegendemonstration
Vor der Halle ist die Lage am Morgen dagegen noch angespannt. Rund 500 kurdische Demonstranten haben sich mit Fahnen der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und mit Bildern des inhaftierten Kurdenführers Abdullah Öcalan versammelt. Ihnen gegenüber, auf den weitläufigen Treppen der Kölnarena stehen mehrere hundert Türken. Dazwischen ein Großaufgebot der Polizei. Die beiden Volksgruppen tauschen lautstark Sprechchöre aus - keine Nettigkeiten. Als der Einlass beginnt, entspannt sich die Situation allmählich.
Auf den eigentlich geplanten Auftritt eines Sängers und einer Volkloregruppen im Vorprogramm müssen die Menschen in der Arena verzichten. Der Veranstalter, die Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD), hat das Kulturprogramm aus Trauer um die Brandopfer von Ludwigshafen abgesagt. "Wir können hier nicht singen und tanzen, wenn dort getrauert wird", erklärt UETD-Sprecher Kibar Erdogrul.
Nach mehreren Reden türkischer Parlamentsabgeordneter der Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP), in denen die Politiker die Zusammengehörigkeit der in Europa lebenden Türken zum türkischen Staat beschwören, kündigt pompöse Musik Großes an. Ministerpräsident Erdogan betritt die Halle, Jubel brandet auf, die Menschen skandieren: "Erdogan, die Türkei ist stolz auf Dich!" Für die türkisch-stämmige Bundestagsabgeordnete Lale Akgün (SPD), die ebenfalls in den Rängen sitzt, sind dies genau die Bilder, die Erdogan jetzt in der Innenpolitik brauche: "Die Leute jubeln ihm hier zu, wenn er Mitten in Europa für das Kopftuch wirbt." Gegen die geplante Aufhebung des Kopftuchverbots an den Universitäten hatte es kürzlich in der Türkei große Demonstrationen gegeben.
Mehr türkische Parlamentarier
Dann spricht Erdogan zu seinen Landsleuten, geht zunächst auf die Ereignisse in Ludwigshafen ein und ruft zur Besonnenheit auf. Dennoch sagt er: "Ich hoffe, dass diese traurigen Vorfälle ein Ende finden und wir nicht noch einmal so etwas erleben müssen." Die türkischen Einwanderer fordert er auf, für ihre Kinder die Möglichkeiten auf eine gute Ausbildung maximal auszunutzen: "Wenn sie die Sprache des Landes nicht lernen, sind sie von Anfang an im Nachteil." Es müssten viel mehr türkischstämmige Einwanderer politische Funktionen als Bürgermeister oder Parlamentarier übernehmen, um die Interessen der Volksgruppe besser zu vertreten.
Dem Thema EU-Beitritt widmete sich Erdogan in seiner Rede ausgiebig: "Die Türkei hat keine andere Alternative als eine Vollmitgliedschaft in der EU." Viele Länder der Union würden die Beitrittsverhandlungen mit seinem Land innenpolitisch instrumentalisieren, von seiner Regierung sei aber kein Rückschritt zu erwarten. Eine privilegierte Partnerschaft, wie von Bundeskanzlerin Angela Merkel favorisiert, lehnt Erdogan strikt ab. "Die Betrachtungsweise ist doch falsch", sagt der Ministerpräsident, "wir haben jetzt schon 15 Millionen Türken in Europa."
Zum Ende seiner rund ein einhalbstündigen Rede äußert sich Erdogan unerwartet zur der "Tatort"-Folge "Wem Ehre gebührt". In dem NDR-Krimi, der Ende vergangenen Jahres ausgestrahlt wurde, ging es um Inzest und einen Mord innerhalb einer alevitischen Familie. Der Film hatte scharfe Proteste der Alevitischen Gemeinde Deutschland ausgelöst. "Sehr hässliche Unterstellungen in einem Fernsehfilm haben unsere ganze Nation beleidigt", sagt der Ministerpräsident. "Die Verantwortlichen sollten sich bei der alevitischen Gemeinde entschuldigen."

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Zu guter Letzt fordert der Ministerpräsident seine Landsleute auf, auch wenn sie im Ausland lebten, dennoch an den Parlamentswahlen in der Türkei teilzunehmen. Die Botschaft und die Konsulate seien hierbei behilflich. Dann dreht Erdogan noch einmal eine Runde über die Bühne, lässt sich und seine Frau umjubeln, und die türkische Wahlveranstaltung auf deutschen Boden findet ein Ende.