Sie haben ein Land, das ein bisschen aussieht wie aus Tolkiens Fantasy-Welt, dazu viele fröhliche Kinder, denen sie von Trollen und Elfen erzählen. Anders als die Deutschen bekommen die Isländer Nachwuchs, ohne erst lange zu überlegen, ob sie ihn sich leisten können, ob er zum angestrebten Karrieresprung - oder aufs weiße Designersofa passt.
"Diese sehr deutschen, sehr ängstlichen Fragen stellen wir uns nicht", sagt Kristín Hjálmtýsdóttir, Mutter von vier Kindern und Geschäftsführerin der Auslandshandelskammer. "Wir denken viel positiver. Kinder sind der wichtigste Teil unseres Lebens und willkommen. Selbst ungeplant." Und wenn es tatsächlich mal Probleme gibt, halten sich die Nachkommen der Wikinger an ihre liebste Redewendung: Thetta reddast - es rettet sich schon, wir schaffen das schon. Davon gehen die nordischen Optimisten einfach aus.
Der ehemals bitterarme Bauern- und Fischerstaat ist längst fortschrittlicher als Deutschland. Berufstätige Frauen mit Kindern müssen dort nicht streiten mit Feng- Shui-Übermuttis oder reaktionären Bischöfen aus Augsburg. Längst ist akzeptiert, dass Mütter arbeiten, auch mit drei oder vier Kindern. Ebenso selbstverständlich ist, dass Väter in bezahlten Elternurlaub gehen: 90 Prozent der Männer nehmen ihren Teil, also mindestens drei Monate. Der Fischereimanager genauso wie der Feuerwehrmann. Zum Vergleich: In Deutschland stellten im vierten Quartal 2007 gerade mal 12,4 Prozent der Väter einen entsprechenden Antrag. Trotz des neuen Elterngelds.
Ganz nebenbei widerlegen die Isländer auch die These vom ökonomisch-demografischen Paradoxon, wonach die reichen Nationen - obwohl Geld für mehr Nachwuchs reichlich da ist - irgendwann aussterben werden. Denn das Land im Norden liegt beim Kinderkriegen weit vorn. 2,08 Kinder bekommen dort die Frauen im statistischen Schnitt - die derzeit höchste Geburtenrate Westeuropas.
Deutschland hat eine der niedrigsten Geburtenraten Europas
Wir Deutsche haben ein Land, in dem es sich dank hohem Bruttosozialprodukt und ausgebautem Sozialstaat gut leben lässt. Aber in Deutschland bekamen die Frauen im vergangenen Jahr nach vorläufigen Berechnungen gerade mal 1,4 Kinder im Schnitt - eine der niedrigsten Geburtenraten Europas, auch wenn sie im Vergleich zu 2006 leicht gestiegen ist. Damals lag sie mit 1,32 noch niedriger als die der Italiener mit 1,34, der Spanier (1,38) und der Griechen (1,39). Dagegen haben die nordischen Länder, die Belgier und Franzosen Geburtenraten, die deutsche Politiker vor Neid erblassen lassen.
Was haben diese Länder besser gemacht? Zum einen sind sie früher aufgewacht: Sie haben schon vor langer Zeit ihre Familienförderung immer weiter ausgebaut - während Deutschland über Jahrzehnte familienpolitisches Entwicklungsland blieb. Weder Helmut Kohl noch Gerhard Schröder sorgten sich um arbeitende Mütter am Rande des Zusammenbruchs und sinkende Geburtenraten. Ernsthafte Familienpolitik galt als "Gedöns" (O-Ton Schröder). Für den Umschwung brauchte es erst Hanni und Nanni in der Bundespolitik: Angela Merkel und Ursula von der Leyen. Zum anderen haben die EU-Nachbarn - oder auch Island - eine Gesellschaft geschaffen, in der die Gleichstellung der Geschlechter im Arbeitsleben und bei der Kinderbetreuung, also zu Hause zwischen den Partnern, weit fortgeschritten ist.
Davon ist Deutschland noch weit entfernt: Laut Sozialwissenschaftler Klaus Hurrelmann können sich hierzulande bisher gerade mal 40 Prozent der jungen Männer eine Partnerschaft vorstellen, in der die Arbeiten zu Hause tatsächlich gleichberechtigt verteilt werden. 80 Prozent der jungen Frauen dagegen wollen Job, Familie und Aufgabenteilung. Hurrelmann nennt das die "40/80-Katastrophe".

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Moderne Familienpolitik
Dass Familienpolitik wirkt, ist unbestritten. "Die Demografie ist zwar noch nicht so weit, mit wissenschaftlich haltbaren Begründungen den in Europa unterschiedlich ausfallenden Geburtenrückgang der vergangenen Jahrzehnte zu erklären, der fast alle hoch industrialisierten Länder getroffen hat", sagt Dr. Gerda Neyer vom Max-Planck-Institut für demografische Forschung. "Aber seit den 80er Jahren kann man beobachten, dass in Ländern, die ihre Betreuungsangebote immer weiter verbessert und zugleich eine Gesellschaft geschaffen haben, die auf Gleichberechtigung basiert, der Baby-Schwund insgesamt deutlich geringer ausgefallen ist." Dass die Geburtenrate in Deutschland mit Einführung des Elterngelds ihren höchsten Stand seit 17 Jahren erreicht hat, lässt also hoffen.
Viele nordische Länder, so Neyer, hätten bereits vor über 30 Jahren entschieden, die Gleichberechtigung zu forcieren und die Frauen in den Arbeitsmarkt zu integrieren - in Kombination mit einem Angebot an Krippen-, Kindergarten- und Hortplätzen, die das möglich machen. "Deutschland hinkt diesen modernen Ländern 20 bis 30 Jahre hinterher", sagt die Rostocker Wissenschaftlerin.
Elterngeld und verbesserte steuerliche Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten seien zwar die richtigen Weichenstellungen, sagt die Expertin, aber eben erst der "Übergang zu einer modernen Familienpolitik". Und der kann dauern. Denn schon das bescheidene Ziel, bis 2013 für ein Drittel der Krippenkinder zumindest einen Halbtags-Betreuungsplatz zur Verfügung zu stellen, bescherte Deutschland einen Kulturkampf. "Inhuman und gegen die Würde der Frau" nennen katholische Oberhirten es, wenn die nach einem Jahr Babypause wieder arbeiten geht. Und mittelältliche Unionspolitiker rühmen - allen Lippenbekenntnissen zur Gleichberechtigung zum Trotz - unverändert Hausfrauendasein und Kinderbetreuung zu Hause in den ersten Jahren als die einzig akzeptable aller Erziehungswelten. Man sieht: Noch längst nicht sind alle in den veränderten Realitäten des Lebens angekommen. Noch längst nicht ist man überall gewillt, junge Mütter selbst entscheiden zu lassen, ob und wie viel sie arbeiten.
Nachwuchs in Finnland
Wie anders ist das doch bei den Finnen. Das Land demonstriert, wie man Familien das Leben leicht macht: Bereits seit zwölf Jahren gibt es einen Rechtsanspruch auf einen ganztägigen Betreuungsplatz für Kinder von null Jahren bis zum Schulbeginn mit sieben. "Es ist einfach, in Finnland Kinder zu haben", erklärt Jaana Janhunen. Und meint das tatsächlich genau so. Mit ihrem Mann Jarkko und den Kindern Kiia und Eetu lebt die 29-Jährige in Kerava, einer Kleinstadt nördlich von Helsinki. Dort bekommen alle Mütter für ihren Nachwuchs einen Platz in einem der Kindergärten oder bei einer "Hausmutter". Und zwar ohne lange Voranmeldung, zum Wunsch-Datum und mit der benötigten Stundenzahl. In 96 Prozent der Fälle sogar in der Wunsch-Einrichtung oder bei der Wunsch-Tagesmutter. Fehlen Plätze, werden sofort in städtischen Gebäuden oder angemieteten Wohnungen neue Gruppen eröffnet. So einfach geht das - wenn man wirklich will.
Der 1985 eingeführte "Hauserziehungsurlaub" für Mütter mit Kindern unter drei Jahren führte allerdings dazu, dass die Frauenerwerbsbeteiligung zurückging. Frauen, die bis zum dritten Geburtstag des Kindes zu Hause bleiben, verringern ihre Einstiegschancen in den Arbeitsmarkt. "Eine Frauenfalle", sagen die Gegner des Gesetzes. In diese Falle wollte auch Ingrid Pilkington nicht tappen, abgesehen davon, dass sie sich ein Leben ausschließlich zwischen Duplo-Steinen und Milchfläschchen nicht vorstellen kann. Ihr Pech: Sie lebt in München. Dort auf Anhieb einen Krippenplatz zu finden ist etwa so wahrscheinlich wie Günther Becksteins Übertritt zur Linkspartei.
Als sie im März vergangenen Jahres wieder anfing zu arbeiten, war kein Betreuungsplatz für ihre damals neun Monate alte Tochter Lisa in Sicht. In zehn Einrichtungen hatte sie sich - gerade schwanger - beworben. Und bei jeder Anmeldung hatten ihr die Erzieherinnen gesagt: "Machen Sie sich keine großen Hoffnungen." Nach und nach flatterten die Absagen per Postkarte ins Haus. Nur weil ihre Eltern in der Nähe wohnen und sich bereit erklärten, Lisa zu hüten, konnte die Diplomingenieurin überhaupt zum vereinbarten Termin in ihren Job zurückkehren. Sieben Monate mussten überbrückt werden, bis Lisa Anfang Oktober endlich in einer Krippe unterkam. Sieben Monate kümmerten sich vier Erwachsene im Schichtdienst um das kleine Mädchen. "Nach diesen Schwierigkeiten wüsste ich nicht, wie wir uns mit ein oder zwei weiteren Kindern organisieren sollten", sagt die junge Mutter.