Herr Güllner, Hand aufs Herz: Hätten Sie vor Wochen gedacht, dass Sie in Hessen einmal ein Umfrageergebnis bekommen, bei dem CDU und SPD bei 38 Prozent gleichauf liegen?
Roland Koch hat einen schweren Fehler gemacht. Er hat mit der Jugendkriminalität zwar ein Thema aufgegriffen, das den Menschen auf den Nägeln brennt. Aber die brutale Art, mit der er es hochgezogen hat, hat sein Image als politischer Bösewicht und Haudrauf wiederbelebt. Es entstand eine Anti-Koch-Stimmung. Und die SPD-Wähler, die sonst eher zur Enthaltung neigen bei regionalen Wahlen, die haben jetzt ein Feindbild. In Hessen haben wir weniger eine Ypsilanti-Stimmung, sondern vielmehr eine Anti-Koch-Stimmung.
Weshalb profitiert die FDP in dieser Situation nicht stärker? Sie steht bei nur neun Prozent.
Das ist für die FDP in Hessen schon eine ganze Menge. Man muss einfach abwarten, wie sich die Feinsortierung der Wähler, die dieser Tage stattfindet, am Ende auswirkt. Es herrscht immer noch eine große Unsicherheit in Hessen. Wir haben das TV-Duell zwischen Koch und Ypsilanti gehabt. Wer kam besser rüber? Wie wirkt sich die Warnung von Wolfgang Clement vor einer Wahl der SPD aus? Wie schlägt der Börsen-Crash auf die Stimmung?
Also ist es Ihrer Meinung nach noch lange nicht gelaufen?
Es ist noch nicht gelaufen. Niemand kann sagen, wie die Wahl ausgeht. Denken sie an 1987 in Hessen, da ist erst mit dem Endergebnis entschieden worden, wer vorne liegt. Knappe Wahlergebnisse haben in Hessen Tradition. Unklar ist ja auch, ob die Linken reinkommen.
Wie erklären Sie die sensationelle Aufholjagd von Frau Ypsilanti? Beruht sie auf Eigenleistung oder auf Fehlern von Koch?
Sie hat im Laufe des Wahlkampfs an Routine gewonnen. Und vor dem Hintergrund der Anti-Koch-Stimmung hat sie allein schon dadurch gepunktet, dass sie freundlich vor sich hingeguckt hat.
Koch warnt jetzt vor bundesweit schwer wiegenden Folgen einer Niederlage der CDU in Hessen. Sehen Sie auch eine derartige Fernwirkung?
Der warnende Hinweis wird Koch nicht im Geringsten helfen. Das ist eine reine Landtagswahl und keine Bundestagswahl. Das war 2003 anders. Da haben viele Wähler Rache genommen für die Bundestagswahl 2002. Wenn allerdings Koch abgewählt wird, dann wird das bundesweite Auswirkungen auf die Stimmung bei der CDU haben.

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Schließen Sie aus, dass es in Hessen mal wieder zu einer demoskopischen Blamage kommt, wie wir sie auch schon gehabt haben? Und zwar dergestalt, dass wir doch noch ein ganz klares Wahlergebnis bekommen und kein Kopf-an-Kopf-Ergebnis?
Das kann im Augenblick niemand sagen. Ich muss da auf die Grenzen unserer Zunft hinweisen: Wenn rund die Hälfte der Wahlberechtigten, die wir in Hessen befragen, noch nicht sicher wissen, ob sie zur Wahl gehen oder nicht, und nicht, für welche Partei sie sich entscheiden, dann kann man Überraschungen jedweder Art nicht ausschließen. Da sollte man nicht uns beschimpfen. Das ist eine der Wahlen, bei denen die Entscheidung in der letzten Woche fällt. Wer sich noch nicht entschieden hat, kann dem Interviewer auch nicht sagen, wie er wählen wird.