Friedensbewegung Zwischen Resignation und Hoffnung

Im Irak rücken die Panzer vor, doch die Kriegsgegner lassen sich nicht entmutigen. Für das kommende Wochenende sind allein in Deutschland fast 50 Demonstrationen angemeldet.

Das "Netzwerk Friedenskooperative" kündete fast fünfzig Demonstrationen, Mahnwachen, Menschenketten und Kundgebungen an. Eine der größten soll am Samstag in Berlin stattfinden: Unter dem Motto "Stoppt den Krieg sofort!" sollen zwei Demonstrationszüge zu einer Abschlusskundgebung an der Siegessäule ziehen, berichtete die Sprecherin der Friedenskoordination, Laura von Wimmersperg, am Donnerstag.

Keine Anzeichen von Demonstrationsmüdigkeit

"Die Wut ist immer noch sehr groß", sagte von Wimmersperg. Mit rund 500.000 Teilnehmern fand am 15. Februar in Berlin die bislang größte Friedenskundgebung der Bundesrepublik statt. Die Friedensaktivisten waren auf den "Tag X", den Tag des Kriegsausbruchs, vorbereitet. Seitdem hat von Wimmersperg keine Anzeichen von Demonstrationsmüdigkeit entdeckt. Am Tag des Kriegsbeginns gab es rund 400 Demonstrationen in Deutschland, seitdem sind es täglich mehrere Dutzend. Allein in Niedersachsen haben nach Angaben des Innenministeriums bisher 256 Demos stattgefunden.

Wie groß die Berliner Demonstration wird, die in zwei Strängen vom Ernst-Reuter-Platz und vom Potsdamer Platz zur Siegessäule ziehen soll, bleibt indes abzuwarten. Am vergangenen Wochenende zogen rund 40.000 Demonstranten durch die Stadt, am Samstag zuvor hatten etwa 100.000 Berliner eine 35 Kilometer lange Menschenkette gebildet.

Appelle an die Regierung werden lauter

Mittlerweile richten die Friedensaktivisten neben ihrem Hauptziel "Stoppt den Krieg sofort!" ihre Slogans "Keine Unterstützung wie Überflugrechte, Awaksflüge und Spürpanzern" und "Internationale Verurteilung dieses Angriffskriegs" auch immer deutlichere Appelle an die Bundesregierung. Mit der Teilnahme der amerikanischen Friedensvereinigung "Americans in Berlin against the war" wolle sich die Friedensbewegung des Vorwurfs entledigen, antiamerikanisch eingestellt zu sein, sagte von Wimmersperg: "Wir sind gegen den Krieg und nicht gegen US-Bürger." Eine Vertreterin des amerikanischen Bündnisses wird neben Politikern der SPD, Bündnis90/Die Grünen, PDS und DKP auch auf der Abschlusskundgebung sprechen. Wimmersperg bedauerte es, dass kein Vertreter der CDU gefunden worden sei, der die Forderungen der Demonstranten unterstützt hätte.

Auch den Vorwurf, die Friedensbewegung sei auf einem Auge blind und kritisiere nur den Krieg, nicht aber Saddam Hussein, wollten die Veranstalter nicht auf sich sitzen lassen. "Wir sind gegen alle Diktatoren", sagte Ann Wertheimer von dem Bündnis der in Berlin lebenden Amerikaner, "aber wir sind nicht bereit, die Zivilbevölkerung in die Demokratie zu bomben."

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Wissenschaftler sehen keine neue Friedensbewegung

Die Massenproteste empörter Schüler gegen den Golfkrieg zeigen aus Sicht von Jugendforschern, dass die heutige Teenager-Generation nicht so unpolitisch ist wie oft behauptet. Eine ganz neue Friedensbewegung sei aber auch nicht im Kommen, sagte der Berliner Protestforscher Dieter Rucht. Nach seiner Einschätzung werden sich vielmehr einige der neu aktivierten Kriegsgegner schon bald mit bereits bestehenden globalisierungskritischen Netzwerken wie Attac verbünden.

"Die aktuelle Protestbewegung wird, was ihre Masse angeht, verebben. Auf Dauer treten Ermüdungszustände ein", prognostiziert der Sozialwissenschaftler. Bemerkenswert findet Rucht, dass so viele Schüler auf die Straße gehen. Seine Erklärung: Gerade jüngere Leute treffe die Frage von Krieg oder Frieden empfindlich, "besonders wenn ethische Werte und die machtpolitische Realität knallhart kollidieren". Jugendliche empörten sich über solche Zustände. "Sie sind weniger abgebrüht, während Ältere oftmals eine zynische Haltung einnehmen."

"Generation Golf" nur eine Erfindung der Medien?

Den Reintyp des "unpolitischen Jugendlichen" habe es ohnehin nie gegeben, meint Rucht. Die desinteressierte "Generation Golf" sei eine Stilisierung der Medien, denn immer habe es auch politisch engagierte Jugendliche gegeben, etwa in Umwelt-, Dritte-Welt- und Menschenrechtsgruppen.

Ähnlich sieht es der Magdeburger Jugendforscher Roland Roth: Die jüngste Shell-Studie habe gezeigt, dass über 80 Prozent der Jugendlichen sich mit Folgeproblemen der Globalisierung auseinander setzen. "Aus ihrer Sicht leben wir in einer sehr ungerechten Welt, in der die reichen Nationen die Armen in den Entwicklungsländern ausnutzen", konstatiert der Experte. Auf lange Sicht sei eine bestimmte Form der Politisierung zu erwarten, meint Roth: "Die junge Generation lernt für die Zukunft, dass Protest eine gute Möglichkeit politischen Handelns ist."

Nach Einschätzung beider Wissenschaftler wird der Irakkrieg der globalisierungskritischen Bewegung in den nächsten Monaten nochmals einen starken Zulauf bescheren. Laut Rucht liegt dies auf der Hand: "Es gibt natürlich Verbindungslinien zwischen der rein militärischen Seite und der globalen, ökonomischen, machtpolitischen Seite, wie sie sich schon jetzt vordergründig in dem Slogan 'Kein Blut für Öl' ausdrücken."