Israel-Politik Merz, der einsame Kanzler: "Ich verantworte das allein"

Friedrich Merz schaut mit ernstem Blick in die Kmaera.
Sehen Sie im Video: Merz äußert sich zu Israel-Entscheidung.
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Sehen Sie im Video: Heftige Kritik aus der Union – Merz verteidigt Waffen-Stopp für Israel.
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Nach dem Teilstopp der Waffenlieferungen an Israel versucht sich Friedrich Merz in Schadensbegrenzung. Noch steht er zu seiner Entscheidung. Aber der Druck wächst.

Eigentlich macht der Kanzler ja Ferien. Friedrich Merz, hört man, urlaube in seinem Häuschen am bayerischen Tegernsee. Aber genau weiß man das bei ihm nicht – so wie vieles andere auch. 

Sowieso ist an Ferien derzeit für Merz kaum zu denken. So erfordert gerade das anstehende Treffen von Donald Trump und Wladimir Putin zur Ukraine, bei dem neben dem betroffenen Land auch die EU außen vor bleiben soll, gemeinsames Handeln mit den anderen europäischen Staats- und Regierungschefs. Und dann ist da noch die dramatische Situation in Gaza – und eine historische Entscheidung, die der Kanzler recht einsam getroffen hat. 

Oder?

Am Sonntag, gegen 14 Uhr, sitzt Merz augenscheinlich in einem Fernsehstudio in München. Zumindest ist auf dem hinter ihm eingeblendeten Foto die Frauenkirche zu sehen. Die ARD zeichnet ein Interview auf, das am Abend in den "Tagesthemen" ausgestrahlt werden soll, aber offenbar auch auf Wunsch des Kanzleramts bereits am Nachmittag ins Netz gestellt wird. 

Die Eile ist verständlich. Denn es gibt viel zu erklären. Zum Beispiel: Warum hat Merz seine Entscheidung, die Waffenlieferungen an Israel teilweise auszusetzen, ohne explizite Absprache mit dem Sicherheitskabinett, seiner CDU-Spitze oder dem Koalitionspartner CSU getroffen? Und hatte er wirklich geglaubt, dass die Unionsfraktion, die sich zuletzt bei der Richterwahl so aufmüpfig zeigte, eine derartige Zäsur einfach hinnehmen würde?

Hat Friedrich Merz die "Staatsräson" aufgekündigt?

Jedenfalls ist seit dem vergangenen Freitag, an dem Merz seinen Beschluss in elf trockenen Sätzen verkündete, die Aufregung wieder einmal groß. Bundestagsabgeordnete und Funktionäre äußern sich empört, die CSU fühlt sich übergangen, und die Junge Union revoltiert offen. Kritisiert wird Merz in Inhalt und Form. So habe er die uneingeschränkte Solidarität gegenüber Israel – von Angela Merkel einst zur "Staatsräson" erhoben – mal eben einseitig aufgekündigt. Und er habe dieses Diktat danach auch noch schlecht kommuniziert.

Der Unmut reicht bis in die Spitze der Union. "Das wäre eine Abkehr von Jahrzehnten außenpolitischer Kontinuität gegenüber Israel und als solche zumindest erklärungsbedürftig", sagte CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann. Ein bemerkenswert offener Satz, der in ähnlicher Form in der CDU-Führung geäußert wurde, wenn auch vorerst verbunden mit der Bitte, nicht namentlich zitiert zu werden. 

Merz reagierte. Er ließ am Samstag kabinettsintern einen längeren Beipackzettel verschicken. "Die Entscheidung über weitere Rüstungsgüter ist ausdrücklich auf einen möglichen Einsatz in Gaza beschränkt", heißt in dem Papier, das dem stern vorliegt. Und: "Schon bisher sind Waffen und Munition, die im Gazastreifen genutzt werden, an Israel nicht geliefert worden." 

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Nach der Interpretation des Kanzleramts handelt es sich weder um eine historische Zäsur noch um eine Zeitenwende. Es sei ausschließlich um ein politisches Protestzeichen gegangen, verlautbarte aus Regierungskreisen. Und das sei offensichtlich angekommen.

Parallel zu den Beschwichtigungsbemühungen telefonierte der Kanzler persönlich etliche Unionspolitiker ab. Auch Markus Söder, der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef, war darunter. Dann, am Sonntagnachmittag, sitzt Merz im Fernsehstudio, über dem hellblauen Hemd trägt er ein dunkelblaues Sakko. Dass er offiziell im Urlaub ist, lässt sich nur am fehlenden Schlips erkennen.

Der Kanzler dekliniert seine Entscheidung durch. Sie sei ausschließlich "eine Reaktion" auf den Beschluss des israelischen Sicherheitskabinetts, Gaza-Stadt einzunehmen.

Merz: Deutsche Israelpolitik bleibt unverändert

Ansonsten gelte: "Die Grundsätze der deutschen Israelpolitik bleiben unverändert. Daran hat sich nichts geändert. Und daran wird sich nichts ändern." Es gebe, sagt Merz, nur einen Dissens mit Tel Aviv: "Und der betrifft das militärische Vorgehen im Gaza-Streifen." Das aber halte eine Freundschaft aus. 

Bei der Entscheidung selbst bleibt Merz aber. "Wir können", sagt er, "nicht Waffen liefern in einen Konflikt", der "ausschließlich mit militärischen Mitteln" geführt werde und möglicherweise hunderttausende Opfer koste. "Das können wir nicht, das tun wir nicht – und das werde ich auch nicht tun!"

Aber warum, will "Tagesthemen"-Moderator Helge Fuhst wissen, habe er bei dieser Entscheidung offenkundig nur wenige Menschen eingebunden, ob nun aus dem Kabinett, der Union oder der Koalition? "Ich habe nicht diese Entscheidung allein getroffen", antwortet Merz. "Aber es ist dann am Ende des Tages eine Entscheidung, die ich allein verantworten muss. Und ich verantworte sie auch allein."

Da ist er dann also doch, der einsame Kanzler. "Ich kann sie aber nicht zur demokratischen Abstimmung stellen", sagt er. "Hier geht es um ganz grundsätzliche Haltungsfragen."  Und: "Ich lasse mich von öffentlichem Druck nicht so sehr beeindrucken wie von meinem eigenen Bild."

Ein Kanzler, der in einer zentralen außenpolitischen und historisch vielfach belasteten Frage eine grundsätzliche Haltung einnimmt, ohne sich der demokratischen Abstimmung zu stellen: Das wäre, wenn es sich verfestigt, tatsächlich neu. Es erinnert daran, wie Merz schon als Oppositionsführer versuchte, schon mal vorsorglich den Executive-Order-Stil von Donald Trump zu kopieren. 

Doch ein deutscher Regierungschef besitzt nicht die Machtfülle eines US-Präsidenten. Er ist bei fast jeder Entscheidung auf eine Mehrheit im Parlament angewiesen. Und diese Mehrheit ist, wie die fast gescheiterte Kanzlerwahl und die abgesagte Richterwahl zeigten, unsicherer denn je. 

Auch wenn Merz in der CDU durchaus Unterstützung erhält, von Fraktionsvize Norbert Röttgen etwa oder seinem Parteivize Michael Kretschmer: Andere in der Unionsführung verweisen darauf, dass der Kanzler nach der Sommerpause noch stärker als bisher auf seine Fraktion angewiesen sein wird, beim Haushalt, bei den Sozialreformen und ja, bei der Wahl der Verfassungsrichter. Mit einsamen Entscheidungen wie der zu Israel riskiere er diese existenziell notwendige Gefolgschaft.

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